Science Fiction Almanach 1982
besiegt.
Kurt Kusenberg
La Botella
Die Flasche, die später so viel umschließen sollte, hatte der alte Seemann selbst geleert. Es war überhaupt ein ereignisreicher Tag gewesen. Kurz vor dem Abendbrot, also genau um die Zeit, die er sich vorgenommen hatte, war der Kapitän mit dem Anstrich seines Häuschens fertig geworden. Er hatte es, seitdem er nicht mehr zur See fuhr, oft gestrichen, doch nie so schön wie eben jetzt. Das Häuschen selbst war wieder meergrün geworden, aber die Fensterrahmen, braun gegen gelb, ließen ein wahres Wunderwerk entstehen. Schöner, als die drei Farben zusammenstimmten, hätten die Wikinger ihre Schiffe auch nicht bemalen können. Die Sonne erkannte es an, indem sie ihre letzten Strahlen länger als sonst auf dem leuchtenden Dreiklang verweilen ließ, und der Kapitän aß in bester Laune zu Abend.
Wenn der Mensch zufrieden ist, möchte er noch zufriedener sein. Deshalb setzte sich der Kapitän in seine Laube und füllte aus einer Flasche Arrak, die ohnehin schon, wenn auch unerheblich, angebrochen war, so viele Gläschen, bis der Arrak nicht mehr in der Flasche, sondern in dem Kapitän war. Als nun das leere Gehäuse da so stand, seines eigentlichen Zweckes ledig, überkam den Seemann neuer Tatendrang. Er verschwor sich, in die Flasche das hübscheste Schiffchen zu setzen, das jemals in eine Arrakflasche hineingebastelt worden war. Und er verschwor sich weiterhin, daß das Fahrzeug den Namen „Erna“ tragen sollte. Der Grund dafür lag lange Zeit zurück, doch das hinderte ihn, wie man sieht, nicht daran, wirksam zu sein. Jedenfalls ergriff der Alte die Flasche beim Hals und ging – wiegend, weil es schlingerte – in das meergrüne Haus, wo sein Bett auf ihn wartete.
Die nächsten Wochen sahen den Kapitän dabei, sein Wort einzulösen. Mit einer Brille vor den Augen, die noch so gut in die Ferne sahen, saß er am Fenster und praktizierte geduldig feuchten Kitt in die Flasche, die nur noch ganz zart nach Arrak duftete. Dann schied der Modellierstab in seiner schweren Hand das Wasser vom Lande. Die See färbte sich grün und bekam weiße Schaumkronen, und auf dem festen Gestade erhoben sich nach und nach ebenso feste Gebäude: Häuser aller Art, eine Windmühle, eine Kirche und – etwas fremdartig, aber sehr wirkungsvoll – sogar ein Minarett. Zwischen den Gebäuden wuchsen Palmen, denn die Stadt, die da gegründet worden war, lag irgendwo im Süden. Der Dreimastschoner „Erna“, ein verzwicktes Stück Arbeit, entstand außerhalb der gläsernen Hülle. Als er mit heruntergeklappten Masten durch den Flaschenhals zu Wasser gelassen worden war, als er in der Hafenbucht vor Anker lag und die Takelage steil in die Höhe stand, war das Werk getan. Der Kapitän verkorkte und verpichte die Flasche sorgsam und stellte sie aufs Vertiko. Und damit scheidet der Kapitän, obgleich Verfertiger und Besitzer der Flasche, aus dieser Geschichte aus.
Was nun folgt, geschah in einer kleinen, irgendwo im Süden gelegenen Hafenstadt; ihre genaue Lage wird sich nie ermitteln lassen. Jedenfalls säumte diese Stadt, eigentlich nur ein Städtchen, das Ufer einer stillen Bucht, die nach ihrer langgestreckten Form und der engen Zufahrt, durch die man sie erreichte, den Namen La Botella, zu deutsch: die Flasche, führte. An der schmalen Einfahrt, die man dort den „Flaschenhals“ hieß, lag es wohl auch, daß nur selten ein größeres Schiff in der Bucht vor Anker ging. Eines Tages aber geschah es, daß ein stattlicher Dreimastschoner in La Botella einsegelte und sich dort so nachdrücklich verankerte, als habe er vor, lange zu verweilen. Und das tat er dann auch. Der Kapitän ließ sich an Land rudern und nahm im Gasthof Quartier. Da er ein umgänglicher Mann war und die Leute von La Botella Fremde nicht oft zu sehen bekamen, entspann sich bald ein herzlicher Verkehr zwischen den ersten Bürgern des Ortes und dem Mann vom Meere. Daß sein Schiff „Erna“ hieß, hatte man schon gewußt, ehe es überhaupt in der Bucht lag; aber daß es nach des Kapitäns eigenen Angaben erbaut war, also gewissermaßen von ihm selbst gemacht, und daß es nach der Frau benannt war, die er am meisten liebte, das erfuhr man erst mit der Zeit. Mit der Zeit, genauer gesagt, gegen Ende der heiteren Gelage, die der Kapitän allabendlich mit seinen Freunden veranstaltete, erfuhr man ferner, daß der Kapitän sich mit der Absicht trage, von La Botella aus geradenwegs heimwärts zu fahren und um die Hand der
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