Science Fiction Almanach 1983
Goldene Maske des Schweigens geben – die Maske, die seine Gedanken vor mir verhüllt.
Denn ich fürchte, wir Ryl, die wir Gedanken lesen können, haben dabei etwas sehr Wertvolles verlernt: dem anderen zu vertrauen, auch ohne sein Inneres zu kennen.
Und die Erdwesen haben sich Roboter gebaut, deren Gedanken sich auf genau vorgeschriebenen Bahnen bewegen müssen – und sie haben dabei auch etwas sehr Wichtiges verlernt: daß es nämlich Dinge gibt, die sich nicht in Gesetzen und Mechanismen einfangen lassen.
Vertrauen, Koordinator, ist stets ein Wagnis – und das wird es auch bleiben. Ein Roboter darf nichts wagen – er muß am Leitseil seiner Regeln einhergehen; und deshalb, Koordinator, müssen wir Ryl mit dem Wagnis des Vertrauens beginnen …“
Jörg Weigand Objekt der Verehrung
Für Kurt Bernhardt
1
Als sich die Abenddämmerung allmählich über die ausgedörrte Steppe senkte, begannen die Schakale zu heulen, und die Frauen des Stammes stampften die letzen Körner für den Fladenteig. Zwei erfahrene Jäger erhoben sich aus der kauernden Runde, die der vorzeremoniellen Meditation gewidmet war, und begaben sich auf Posten auf die erste Wache. Um die Mitte der Nacht, wenn der Mond sich über den Berg der Blitze erhob, würden sie von zwei anderen Stammesangehörigen abgelöst werden.
Tarak, der Jungjäger, war für diese Nacht von der turnusmäßigen Wache befreit. Als Jüngster im Mannesalter, er zählte gerade 16 Sommer, wurde er zwar öfter als die Alterfahrenen zu Diensten und Pflichten herangezogen, doch hatte die Erfahrung den Stamm gelehrt, daß man selbst die Zähesten und Ausdauerndsten unter den Jungen nicht unbegrenzt belasten konnte. So waren auch Tarak fünf von zehn Nächten zum unbegrenzten Schlaf gestattet worden.
Tarak reckte seine breiten Schultern, griff hinter sich zum abgelegten Bogen und dem Köcher und erhob sich aus der gebückten Haltung. Bis zur Zeremonie war noch ein wenig Zeit. Seine Augen suchten Malia, die vierzehn Sommer zählte; ihre tiefbraunen, glühenden Augen und ihr schlanker Körper hatten es ihm angetan. Nach den Regeln des Stammes galt zwar die Verbindung von Mann und Frau innerhalb der Stammeseinheit als nicht erwünscht, doch handelte es sich dabei nicht um ein direktes Tabu – so daß Tarak fest entschlossen war, Malia nach allen Kräften zu umwerben, um sie im nächsten Sommer, wenn sie das heiratsfähige Alter erreichen würde, in seine Hütte zu führen.
Der Stamm der Hundskrieger lagerte seit Generationen am Rande der großen Ebene, die auch jetzt noch – nach so langer Zeit – von den Narben der Großen Katastrophe gezeichnet war. Diese Steppe dehnte sich über den ganzen nördlichen Teil Elopas aus; tundraartiger Bewuchs sorgte für nur wenig Abwechslung. Dennoch: die Steppe gab ihnen Nahrung, und in den Randgebieten gegen Süden hin ließ sich sogar während der Trockenzeiten noch etwas Wasser finden. Und der hochstämmige Wald auf den Hängen der Berge, die den Südwesten der Ebene einfaßten, bot den idealen Standort für die Behausungen der Hundskrieger.
Malia bewohnte mit ihren Eltern und sechs wesentlich jüngeren Geschwistern eine der größeren Laubhütten. Als noch Unberührbare durfte sie bei der allabendlichen Zeremonie natürlich nicht dabeisein; ebensowenig war es ihr gestattet, der vorzeremoniellen Meditation beizuwohnen. Und da außerdem der Abend nun rasch kam, war Tarak sicher, das Mädchen in oder bei der elterlichen Behausung anzutreffen.
Betont unauffällig schlenderte der Jungjäger, den Federschmuck des ersten Jahres keck aus der Stirn geschoben und den Bogen
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