Science Fiction Almanach 1983
verfolgte Wolf den Wachstumsverlauf der bemerkenswerten Rayer-Spore. „Dieser hoffnungslos senile Professor hat KMK-37 ins Freie gelassen. Wißt ihr, was das bedeutet? Das Bedeutet das Ende von mir und von Heilbronn – und vielleicht sogar das Ende der ganzen Republik.“ Der Führungsoffizier reagierte verwirrt. „Welche Republik meinen Sie?“ Wolf stöhnte auf, sagte „Scheiße“ und unterbrach die Verbindung. Flucht! war sein einziger Gedanke. Nur weg von hier! Mit quietschenden Reifen schoß die Limousine aus der Parklücke vor dem rosagestrichenen Etablissement und kollidierte mit dem rostzerfressenen Gebrauchtwagen des illegal eingereisten türkischen Sperrmüllsammlers Ützmük Yümühün. Außer dem nicht angeschnallten Agenten flogen auch Millionen winziger Partikel der eindrucksvollen Spore KMK-37 durch die zersplitternde Windschutzscheibe. * * *
Doch noch vor Wolfs Unfalltod hatten Alf und Robby den Kauf + Spar-Supermarkt betreten und unter den argwöhnischen Objektiven der überall installierten Videokameras des hauseigenen vollelektronischen Diebstahlüberwachungssystems in der Getränkeabteilung fünf Flaschen Jamaica-Rum erworben. Eine Weile lungerten sie nervös an den Computerkassen herum, bis ihnen das Ergreifen eines ausgekochten Ladendiebes die Chance bot, die von Wächtern entblößte Spiraltreppe zu den Verwaltungsbüros hochzuschleichen. * * * Bei dem bewußten Ladendieb handelte es sich zum Erstaunen aller Beteiligten um den unheilbaren Kleptomanen Adolf Joseph Meiersbruck, dem Direktor der Stonsdorfer Vereinigten Vertriebsgesellschaft, die das Flaggschiff eines multinationalen Gemischt Warenkonzerns darstellte, zu dem auch die Kauf + Spar- Kette gehörte. Die Entlarvung führte zu einem Aufschrei in der Lebensmittelzeitung Unser Täglich Brot und einer außerordentlichen nichtöffentlichen Sitzung des Ruhrstädter Krisen-Beirates. Über das Ergebnis wurde nichts bekannt, doch wer die Mitglieder des Beirates kennt, weiß auch so Bescheid. * * *
Das schockierte Durcheinander gestattete den beiden Aktivisten der Friedensbewegung den ungehinderten Zugang zum Dachgeschoß und in das rundumverglaste PR-Büro von Gerlinde Oh. Die pummelige Blondine hatte bei ihrem Eintreten die schlanken Beine auf dem Schreibtisch liegen und hielt in der Hand eine Milchtüte, während sie schläfrig das Computerterminal betrachtete. Der Duft aus der Milchtüte deutete auf eine hochprozentige Cola-Rum-Mischung hin.
Mit einem leisen Räuspern löste Alf seine Blicke von dem erotischen Fluoreszieren der Feinstrumpfhose und stell te die umweltfreundliche Jutetragetasche mit den fünf Flaschen Jamaica-Rum neben dem Videofon auf den Schreibtisch.
Gerlinde Oh spitzte die grüngeschminkten Lippen. „Wow!“ machte sie.
Alf wurde dadurch an Erika erinnert und an den Verlust, den sein Engagement in der Friedensbewegung mit sich gebracht hatte.
„Ist das wirklich alles für mich, Alfie?“ fragte Ger linde Oh und beäugte die Flaschenhälse.
Auf dem Monitor des Terminals erschienen grüne Buchstaben.
* * * WASSERKNAPPHEIT IN NIEDERBAYERN HAT SICH VERSCHÄRFT. * * * HEUTE FRUCHTSAFT-SONDERANGEBOT IM ERD-GESCHOSS. * * *
„Alles ist für dich“, versicherte Alf. Unruhig sah er sich um. Durch die Rundumverglasung konnte er erkennen, wie die ersten Angestellten nach dem skandalösen Eklat in ihre Büros zurückkehrten und Meiersbrucks mißliches Schicksal diskutierten. Auf zahlreichen Gesichtern glänzte Schadenfreude. „Kann man das nicht undurchsichtig machen?“ wollte er von
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