Science Fiction Almanach 1983
im Zuge seines unüberlegten Fluchtversuches aus Heilbronn verwehrte ihm jedoch, Konsequenzen aus dieser Erkenntnis zu ziehen. * * *
„Gerlinde“, wandte sich Alf an die fluoreszensbestrumpfte PR-Dame, „wie funktioniert diese verdammte Nachrichtenwand?“
Gerlinde zwinkerte kurzsichtig und nahm einen neuen Schluck Rum-Cola. „Ganz einfach“, antwortete sie glasigen Blickes. „Ich wähle die Meldungen aus, die der Telefax ausspuckt, und der Computer speist an den verkaufspsychologisch richtigen Stellen die garantiert tiefenwirksamen Texte unserer tüchtigen Werbeabteilung ein. Da kannste tippen.“ Sie wies auf eine Schreibmaschinentastatur neben dem Terminal. „Aber baue ja keinen Mist, sage ich dir. Wenn man mich feuert, nur weil euch irgendein Hirngespinst plagt, kann ich die dynamische Betriebsrente vergessen. Außerdem wird es schwerfallen, einen Arbeitsplatz zu finden, der mich so abfüllt wie dieser Job.“
Alf tat ihren Einwand mit einer lässigen Handbewegung ab. „Die Information der interessierten Öffentlichkeit hat Vorrang vor kleinkarierten Absatzstrategien für bleihaltigen Grünkohl und säuerlichen Kartoffelsalat.“ Er setzte sich an das Eingabegerät, griff geistesabwesend nach der offenen Rumflasche, die er trotz Gerlindes empörter Mimik zu einem Viertel leerte, und sah dann zu Robby hinüber. „Ab die Post. Du textest, ich tippe.“
* * * In Heilbronn müssen zu dieser Sekunde die ersten Plünderungen und religiösen Exzesse getobt haben. Die Spore war überall, und sie vermehrte sich. Onnedecker lag zusammengesunken auf dem Boden des Bordell-Foyers und war damit beschäftigt, sich zu verknollen. Nicht anders erging es Liu Chang und den übrigen Damen und Herren des Etablissements. Von Bernie gab es keine Spur. Erst nachträglich stellte sich heraus, daß er in der nahen Eckkneipe Schutz gesucht und keinen gefunden hatte. Knollig hockte er vor dem Tresen und ließ sich von einem unbekannten – und auch später nie identifizierten – Trunkenbold eine Literflasche teuren französischen Cognacs über die geschwärzte Haut gießen. * * *
„Jetzt haben wir den Salat“, textete Robby betriebsam, und Alf tippte mit geschmeidigen Fingern. „Jahrelang haben wir zugelassen, daß sich Schmalspur Wissenschaftler und Rüstungsgewinnler am Verteidigungsetat gesundstießen. Opfer dieser unheiligen Allianz aus gewerbsmäßigen DNS-Pfuschern und dividendengierigen Spekulanten wurde vor wenigen Minuten das idyllische württembergische Städtchen Heilbronn, wo die Fabriken der Rayer-Chemie schon seit langem zum Himmel stinken. Eine Spore mit der denkwürdigen Bezeichnung KMK-37 ist trotz der angeblich perfekten Sicherheitsvorkehrungen aus den Rayer-Labors nach draußen gelangt. Die Bürger Heilbronns erwartet ein schreckliches Schicksal: die zellulare Verknollung. Atompilze haben nicht genügt – genetische Knollen mußten her. Die Perversion des Denkens hat ungeahnte Ausmaße angenommen. Ein Abgrund tut sich auf. Es wird Zeit, daß sich der Widerstand formiert!“
* * * Kauf + Spar -Filialleiter Hubert Andreas Galle, der über sein geheimes Zweitterminal die Signale der Nachrichten wand verfolgte, während er damit beschäftigt war, die Arschbacken seines Privatsekretärs mit Vaseline einzufetten, traf fast der Schlag. „Diese geisteskranke Anarchistin!“ brüllte er und meinte damit Ger linde Oh. „Wenn wir hier fertig sind, Klaus, machen wir diese übergeschnappte Emanze zur Sau.“ Klaus grünste beifällig, nicht ahnend, daß er zwei Jahre später Opfer eines bedauerlichen,
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