Science Fiction Almanach 1983
ohne jedes Pathos und zog sich den Pullover über die Hüften.
Tyra holte ihr den Parka und half ihr beim Hineinschlüpfen.
„Und jetzt, was geschieht jetzt?“ Chalila wirkte verstört.
„Kunsthaut läßt sich schmerzlos laserverschweißen. Vielleicht werden solche Kunsthautflecken – eingefärbt in den neuesten Modetönungen – die Schönheitspflästerchen der kommenden Nacktbadesaison. Vermutlich zählt ihr schon dazu!“ Tessa blickte von einer zur anderen.
„Wozu?“ fragte Muja spitzzüngig.
„Zu den Patchwork-Beauties! Zu deutsch: zu den Schönen mit den bunten Hautflickenmustern auf den geschundenen Leibern!“ In einer Art von Visionsstau sah sich Tessa im Mittelpunkt einer Kannibalenshow, eines irren Ausschlachtungsballetts – und alle einhundertundzwanzig Mädchen aus den Wohnspiralen auf der roten Insel taumelten nackt in einem Verzweiflungstanz um das Goldene Transplantenkalb mit den Organreliquien.
„Tessas Zynismus ist unerträglich!“ schrie Argo schäumend vor Wut. Aber das war schon wieder Wirklichkeit.
„Nicht unerträglicher als die nackte Wahrheit“, antwortete Tyra mutig.
„Aber warum geschieht denn nichts? Warum kommt uns denn niemand zu Hilfe?“ Chalila taumelte ophelienhaft zwischen den Kameradinnen hin und her.
Argo packte sie hart am Arm. „Weil jede von euch freiwillig zu uns gekommen ist! Weil ihr allesamt von den Aussichten eines einjährigen Aktiv-Kurlaubs begeistert wart! Außerdem hat jede von euch eine Lebensverwirklichungsprämie von zwanzigtausend Europäischen Rechnungseinheiten kassiert.“
„Habt ihr es immer noch nicht begriffen? Das ist keine Lebensverwirklichungsprämie, sondern eine Lebensverwirkprämie“, klärte Tessa die Transplantinnen auf.
Keiner wußte genau, wie es geschah. Der Angriff erfolgte so plötzlich wie ein Überfall von Silbermöwen, die sich zuweilen auf die eigene Brut stürzen.
Wie auf ein geheimes Kommando packten alle Mädchen die Funktionärin und stießen sie in den hinteren Teil der Höhle zurück.
„Seid ihr alle übergeschnappt?“ Argo rang nach Luft. Die Angst lähmte sie. Während sie nach einem Weg suchte, ihre Schützlinge zur Raison zu bringen, liefen diese ins Freie zurück. Eine seltsame Art, Verstecken zu spielen! Doch keines der Mädchen zeigte sich mehr. Der Höhlenausgang ließ einen sauberen Ausschnitt von Himmel und Meer sehen – bis sich das Stahlgitter herabsenkte. Argo begriff es zu spät, um noch darunter hinwegfliehen zu können. Sie saß in der Falle. Sie rüttelte verzweifelt an den Stäben – aber vergebens. Sie hatte die Flutzeiten nicht genau im Kopf. Aber es konnte nicht lange dauern, und in dieser Höhle würde es von Hummern, die mittels synthetischer Duftstoffe auf diesen automatisierten Futterplatz programmiert wurden, nur so wimmeln. Diese Riesenhummer galten als die angriffslustigsten Exemplare des gesamten Litorals. Bei steigendem Wasser kamen sie durch die Zwischenräume des Gitters gekrochen. Jemandem die Achillessehne durchzuschneiden war für die Riesenscheren eine Spielerei. Und die Funktionärin hatte den Fehler begangen, keine Stiefel anzuziehen. Sie trug ihr normales Schuhwerk. Doch auch Tessa hatte einen Fehler begangen, denn sie hatte den Sender in ihrem Halsband nicht ausgeschaltet. Oder doch?
Das Gitter ließ sich jedenfalls nur von außen hochfahren. Der Steuerhebel befand sich in einem metallenen Kästchen, dessen Schutzplombe nun zerrissen sein mußte.
„Laßt mich nicht allein! Muja, Laserma, Tyra, Chalila! Seid doch vernünftig!“ Der Schrei von drei Lachmöwen blieb die einzige Antwort. Nun hieß es Ruhe
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