Science Fiction Almanach 1983
Leere der weißgetünchten Wände, die verlogene Romantik der längst sinnlos gewordenen Deckenornamente und des toten Kamins. In der Mitte das Bett, ebenfalls weiß. Du legst dich schweigend auf die weichen Laken, und du weißt Monika neben dir, spürst, wie sie die winzigen Metallplättchen über deinem Herzen befestigt, mit feinen Kabeln verbindet. Wieder versuchst du zu lächeln, weil es das letzte ist, das du ihr noch schenken kannst, und es doch so viel gibt, das du ihr geben möchtest. Du siehst sie an, blickst ihr direkt ins Gesicht, und plötzlich glaubst du, eine Träne in ihren dunklen Augen erkennen zu können. Eine Träne. Du willst schreien, willst einfach nur schreien, aber da trifft dich der Stromschlag, und du bist tot.
Das Mädchen Monika erhebt sich langsam und schweigend. Sie tritt an den niedrigen Tisch direkt neben dem alten Kamin, und sie legt deinen Brief in eine schwarze Plastikmappe. Sie wird noch ein Protokoll ausfüllen müssen. Ein Protokoll über deinen Freitod.
War es ein schöner Tod? Ein Tod durch die Hände des blonden Mädchens Monika. Ein käuflicher Tod.
Bevor das Mädchen endgültig den Raum verläßt, blickt sie sich noch einmal um. Du liegst leblos und starr inmitten der weißen Laken, die Metallplättchen immer noch auf deinem Herzen.
Sie lächelt nicht, und in ihren Augen ist wieder eine Träne. Schade, daß du es nicht mehr siehst.
William Voltz Der Doppelgänger
Die Individualität des Körpers ist eher die einer Flamme als die eines Steines, eher die einer Form als die eines Teilchens Materie. Diese Form kann übermittelt oder abgeändert und verdoppelt werden.
Norbert Wiener
Im Licht der schräg über dem Park stehenden Sonne siehst du die Phosphorpartikel in der ausgetretenen Basalttreppe wie winzige Edelsteine aufleuchten. Du gehst die Stufen langsam empor, denn du weißt, daß etwas Entscheidendes bevorsteht.
Oben, in der Mitte zwischen den Sockeln, die das Ende der Treppe begrenzen, bleibst du noch einmal stehen und blickst auf die andere Seite der Straße hinüber, zu den Bäumen, zu der Schaukel auf dem freien Platz, die von Kindern umlagert ist. Ein Mädchen geht über den Park weg. Die Sonne, die es durch die Blätter erreicht, webt ein sich ständig veränderndes Muster auf seinem Kleid.
Es bewegt sich leicht, mit innerer Fröhlichkeit, an diesem Sommermorgen.
Du wendest dich ab und siehst die steinernen Köpfe auf den Sockeln zu beiden Seiten der Treppe. Gelassen starren die toten Augen der Frauenköpfe ins Leere. Sie sind sich sehr ähnlich, wenn auch an einem Kopf der untere Teil des rechten Ohres abgebrochen ist.
Der Bildhauer, der sie vor Generationen einmal schuf, wußte nicht, daß sie zum Symbol für das werden könnten, was sich hinter den hellgrauen Mauern der Schule verbirgt. Das heißt, es war einmal eine Schule. Jetzt dient sie Dr. Hargreaves für seine Forschungen.
Unten, im Hof, stehen noch die Gerüste für Korbballspiele, die Farbe ist längst abgeblättert, und Rost überdeckt die Stangen. Niemand entfernt diese Dinge. Mitten durch den Hof, von der Straße zur Treppe, führt ein Weg aus Pflastersteinen. Er ist grau und staubig, aber wenn es regnet, werden die Steine glänzen, die von unzähligen Kinderfüßen poliert und geschliffen wurden.
Ohne dich noch einmal umzusehen, gehst du zum Portal. Die Tür ist verschlossen, und du mußt die Klingel betätigen. Hinter den vergitterten Scheiben der Tür siehst du einen Mann näher kommen, sein Gesicht wirkt verzerrt, denn das Glas der Türfenster ist nicht spiegelfrei.
Er öffnet die Sprechklappe. Du erkennst den unteren Teil seines Gesichtes, großporige, von Stoppeln bedeckte Haut.
„Ich bin Ray Stratton“, sagst du. „Ich bin bestellt.“
Eine Kette rasselt, ein Schlüssel
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