Science Fiction Anthologie Band 3 - Die Vierziger Jahre 1
Kamera
beugte, und traf seine Entscheidung im Bruchteil einer Sekunde. Seine Fingernägel gruben sich tief in die Handflächen, als er seinen Körper spannte. Wild taumelnd schoß er vorwärts. Er sah nur Schatten auf sich zufliegen und fühlte noch, wie der Boden unter seinen Füßen schwand. Im nächsten Augenblick war jemand über ihm; Finger krallten
sich um seinen Hals. Er fiel.
Er zog das Knie an und bohrte es seinem Gegner hart in
die Brust. „Lassen Sie mich los, oder ich bringe Sie um!“ Theremon schrie vor Schmerz auf und murmelte mit erstickter Stimme durch den Vorhang von Schmerz hindurch,
der ihm fast die Sinne raubte: „Du dreckige, hinterlistige
Ratte!“
Und dann stürzte alles gleichzeitig auf ihn ein. Er hörte
Beenays heiseres Krächzen: „Ich hab’s! Los, an eure Kameras!“ Gleichzeitig drang ihm ins Bewußtsein, daß der
letzte schwache Faden Sonnenlicht immer dünner wurde
und plötzlich riß.
Er vernahm Beenays letztes keuchendes Würgen und einen seltsamen kleinen Schrei von Sheerin – ein hysterisches Kichern, das mit einem Gurgeln abbrach – und dann
eine plötzliche Totenstille, die fremd und unheimlich von
draußen hereinkroch.
Theremon lockerte seinen Griff. Der Körper des Kultisten hing schlaff in seinen Armen.
Er starrte Latimer an. In den glänzenden, weit aufgerissenen Augen des Kultisten spiegelten sich die trüben gelben Lichtpunkte der Fackeln. Er sah die Schaumblasen, die
sich auf Latimers Lippen gebildet hatten, und hörte das
leise, animalische Wimmern, das aus der Brust des Kultisten drang.
Wie gebannt von der Faszination der Angst, stützte er sich auf und ließ seinen Blick zögernd und bang zum Fenster wandern. Das Dunkelrot des Himmels war zu einem
tiefen, undurchdringlichen Schwarz geronnen.
Durch das Fenster leuchteten die Sterne!
Und es waren nicht die etwa dreitausendsechshundert
schwach funkelnden Sterne, die das menschliche Auge auf
unserer Erde wahrnimmt. Lagash befand sich inmitten eines gigantischen Meeres. Dreißigtausend mächtige Sonnen
sendeten ihren Glanz herab, der das Blut in den Adern gefrieren ließ. Dieses fürchterliche Licht war in seiner unerbittlichen Gleichgültigkeit hundertmal eisiger als der kalte
Wind, der die in Todesfurcht erstarrte, unendlich leere
Welt erschaudern ließ.
Theremon kam taumelnd auf die Füße. Sein Hals preßte
sich zusammen. Er rang verzweifelt nach Luft. Alle Muskeln seines Körpers krampften sich vor Grauen zusammen.
Schier unerträgliche Angst packte seinen zitternden Körper
und schüttelte ihn. Er wurde wahnsinnig, und er wußte es,
und irgendwo ganz tief in ihm schrie ein letzter Funke gesunden Menschenverstandes gepeinigt auf und focht verzweifelt und hoffnungslos gegen die heranrollende schwarze Flut aus Wahn und Entsetzen. Es war gräßlich, verrückt
zu werden und es zu wissen – zu wissen, daß man in einer
Minute nur noch als körperliche Hülle existieren würde,
daß alles das, was das Menschsein ausmacht, ein für allemal gestorben sein würde, ertrunken in dieser schwarzen
Flut. Denn dies war die schreckliche Dunkelheit – die
Dunkelheit, die Kälte und der Untergang. Die hellen,
leuchtenden Mauern des Universums waren offensichtlich
zerborsten, und ihre grausamen schwarzen Trümmer fielen
nun herab, um ihn zu zermalmen und auszulöschen. Er stieß gegen jemand, der auf allen vieren kroch, und er
stolperte. Er raffte sich wieder auf, griff mit beiden Händen
nach seinem gepeinigten Hals und wankte auf die Fackeln
zu. Ihre tanzenden gelben Flammen waren das einzige, was
sein gemarterter Geist noch wahrzunehmen vermochte. „Licht!“ schrie er gellend.
Irgendwo in einer Ecke kauerte Aton und wimmerte wie
ein zu Tode verängstigtes Kind. „Sterne … all die Sterne …
das haben wir nicht gewußt … wir haben gar nichts gewußt
… wir dachten, sechs Sterne sind das Universum … wir
wußten nichts … bemerkten nicht die Sterne … Finsternis
ist für immer und ewig, und die Wände brechen ein, und
wir wußten nichts … wir konnten es nicht wissen, konnten
es …“
Jemand griff nach einer Fackel; sie fiel herunter und erlosch. Der grauenhafte Glanz der Sterne sprang noch näher
zu ihnen heran.
Am Horizont, dort, wo Saro City lag, erhob sich ein roter Schein, wurde heller und leuchtender. Es war nicht der
Schein der Sonnen.
Wieder war die lange Nacht gekommen.
Robert A. Heinlein Im Kreis (By His Bootstraps)
Robert Anson Heinlein wurde 1907 in Butler, Missouri, geboren und wollte nach Schule und
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