Science Fiction Anthologie Band 3 - Die Vierziger Jahre 1
zu erfahren – die ‚Erhabenen’, die aus dem Nichts gekommen waren, die menschliche Rasse beherrscht, den Palast und das Tor gebaut hatten und wieder gegangen waren –, in deren Kielwasser er über dreißigtausend Jahre hinweg an dieses Gestade gespült worden war. Für die menschliche Rasse bedeuteten sie nicht mehr als eine heilige Sage, eine kontradiktorische Größe der Tradition. Kein Bild war von ihnen geblieben, keine Spur ihrer Schrift, keines ihrer Werke außer dem Palast von Norkaal und dem Tor zur Zeit; und ein Gefühl unersetzlichen Verlustes in den Herzen der Rasse, die sie einst beherrscht hatten, eines Verlustes, der sich in der selbstgewählten Bezeichnung dieser Leute ausdrückte: die ‚Verlassenen’.
Mit Kontrollbild und Steuerung jagte er durch die Vergangenheit und suchte die Erbauer. Es war eine langwierige Arbeit, wie er schon früher hatte feststellen müssen. Ein vorbeihuschender Schatten, mühsames Zurückstellen der Steuerung – vergebens. Einmal war er ganz sicher, daß er einen solchen Schatten im Bild der Torhalle auf dem Kontrollbildschirm gesehen hatte. Er schob die Steuerungskugeln weit genug zurück, um sicherzugehen, daß der Schatten noch einmal zurückkommen mußte, bewaffnete sich mit Speise und Trank und wartete.
Er wartete drei Wochen lang.
Der Schatten konnte zwar vorbeigegangen sein, während er schlafen mußte, aber er war gewiß, daß er sich in der richtigen Zeit befand; daher blieb er weiter auf dem Posten.
Er sah das Wesen.
Es bewegte sich auf das Tor zu.
Als er wieder zu Sinnen kam, war es bereits den Korridor, der von der Halle wegführte, zur Hälfte hinuntergerannt. Er merkte, daß er geschrien hatte. Noch jetzt schüttelte ihn das Entsetzen am ganzen Leibe.
Etwas später zwang er sich dazu, in die Halle zurückzukehren. Mit abgewendeten Augen betrat er die Steuerkanzel und schob die Kontrollkugeln auf Null. Dann ging er rückwärts wieder hinaus und verließ die Halle, um in seine Gemächer zu gehen. Mehr als zwei Jahre lang berührte er weder die Steuerung des Zeittores, noch betrat er die Halle.
Weder die Furcht vor körperlicher Bedrohung noch das Aussehen des Wesens hatten ihn so verstört – er konnte sich überhaupt nicht daran erinnern, wie es ausgesehen hatte. Es war ein Gefühl unendlicher Traurigkeit, das ihn in jenem Augenblick durchflössen hatte, ein Gefühl der Tragik, unerträglichen und unausweichlichen Kummers, unendlichen Grams. Emotionen hatten ihn getroffen, die viel zu stark für die Fasern seines Geistes waren und die zu ertragen er genausowenig befähigt war wie eine Auster zum Violinspiel.
Er spürte sehr genau, daß er alles über die Erhabenen erfahren hatte, was ein Mensch überhaupt erfahren und dennoch dabei geistig normal bleiben konnte. Seine Neugier war gestillt. Die Erinnerung an jenes Gefühl überschattete noch lange seinen Schlaf und ließ ihn schweißnaß aus wirren Träumen hochfahren.
Noch ein anderes Problem beschäftigte ihn – die Frage nach sich selbst und seinen Irrfahrten durch die Zeit. Er zerbrach sich immer noch den Kopf darüber, daß er sich selbst sozusagen auf dem Rückweg begegnet war, mit sich selbst gesprochen, mit sich selbst handgreiflich gekämpft hatte.
Wer davon war eigentlich er selbst?
Er verkörperte alle diese Ichs, dessen war er sicher, denn er erinnerte sich genau, jeder von ihnen gewesen zu sein. Wie aber verhielt es sich dann, als er mehrere Male gleichzeitig anwesend gewesen war?
Aus reiner innerer Not sah er sich gezwungen, das Prinzip der Nichtidentität – ‚Nichts ist mit etwas anderem identisch, nicht einmal mit sich selbst’ – auch auf das Ego auszudehnen. In einem vierdimensionalen Kontinuum ist jedes Ereignis absolut einmalig, es hat seine Raumkoordinaten und sein Datum. Der Bob Wilson, der er soeben war, konnte nicht der Bob Wilson von vor zehn Minuten sein. Jeder war ein für sich alleinstehender Teilabschnitt eines vierdimensionalen Prozesses; der eine glich dem anderen in vielen Einzelheiten, wie eine Scheibe Brot der nächstfolgenden desselben Laibes gleicht. Aber sie waren nicht derselbe Bob Wilson – sie unterschieden sich durch einen dazwischenliegenden Zeitabschnitt.
Als er sich selbst begegnet war, hatte er diesen Unterschied mit eigenen Augen sehen können, denn zu diesem Zeitpunkt war die Trennung vorwiegend räumlicher Natur gewesen, und der Mensch war nun einmal so ausgerüstet, daß er einen Raumunterschied sehen, sich an einen Zeitunterschied aber nur
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