Science Fiction Anthologie Band 4 - Die Vierziger Jahre 2
völliges Rätsel, bis er sich nach und nach wieder orientierte.
Er kaufte eine New York Times. Als erstes schaute er aufs Datum. Sonntag, den 5. August 1945. Seine Schätzung war recht gut gewesen. Die Schlacht von Okinawa war gewonnen. Die Konferenz von Potsdam war soeben beendet worden. Noch immer erschienen Bilder vom Zusammenstoß jenes Riesenflugzeuges mit dem Empire State Building, obwohl dieser bereits Samstag vor einer Woche stattgefunden hatte. Japan wurde noch immer von Bomben aus der Luft und von Schiffsgranaten zertrommelt.
Mein Gott, morgen war ja Hiroshima fällig! Der Gedanke, daß er vermutlich die einzige Persönlichkeit in ganz Williamsport war, die davon etwas wußte, amüsierte ihn.
Auf dem Nachhauseweg wurde er von einem Jungen angerufen, der auf der obersten Stufe einer Treppe saß, die zu einer Veranda hinaufführte. Allan antwortete herzlich. Er versuchte, sich zu erinnern, wer der Junge war. Dann fiel es ihm ein. Natürlich! Larry Morton. Er und Allan waren Kameraden gewesen. Wahrscheinlich hatten sie am vorangegangenen Nachmittag Kommandos und Deutsche gespielt.
Larry war im gleichen Jahr auf die Comell-Universität gegangen, in dem Allan auf Pennsylvania State ging. Beide hatten im Jahre 1954 ihre Examina gemacht. Larry arbeitete zunächst bei einer Behörde. Dann hatte er ein Mädchen aus Pittsburgh geheiratet und war zwölfter Vizepräsident in der Firma seines Schwiegervaters geworden. Er war 1968 bei einem Flugzeugunglück ums Leben gekommen.
„Gehst du in die Sonntagsschule?“ fragte Larry, der glücklicherweise von dem ihm bevorstehenden Schicksal keine Ahnung hatte.
„Nee, hab ein paar Sachen zu Hause zu erledigen!“ Er mußte vorsichtig sein. Larry würde einen Unterschied schneller merken als ein Erwachsener. „Zum Teufel mit der Schule!“ fügte er hinzu. „So möcht ich’s auch mal haben! Wollte, ich könnte auch von der Schule wegbleiben, wenn es mir gerade so paßt!“ beneidete ihn Larry. „Wie wär’s, wenn wir beide später im Kanuklub schwimmen gingen, was?“
Allan dachte schnell nach. „Mensch, ich wollt, ich könnt mitkommen!“ antwortete er und versuchte, sein grammatikalisches Niveau zu senken. „Muß aber nachher zu Hause bleiben. Bekommen Besuch. Zwei alte Tanten. Mein Alter will, daß ich daheimbleibe, wenn die kommen.“
Das wurde geglaubt. Jeder wußte, daß man verstandesmäßig die Eigenheiten Erwachsener überhaupt nicht erklären konnte. Überdies gab es gegen ihre Forderungen keinerlei Einspruch. Die Aussicht, daß Besuch kam, würde Larry an diesem Nachmittag vom Hause der Hartleys fernhalten. Er zeigte seine Enttäuschung.
„Na, viel Vergnügen!“ rief er.
„Vielleicht morgen“, sagte Allan. „Wenn ich Zeit habe. Jetzt muß ich gehn. Hab noch nicht gefrühstückt!“ Jungenhaft schlurfte er mit den Füßen, rief seinem Freund auf Wiedersehen zu und setzte den Nachhauseweg fort.
Wie er gehofft hatte, beschäftigte die Sonntagszeitung seinen Vater während des ganzen Frühstücks. So wurde jedes gefährliche Tischgespräch vermieden. Blake Hartley war noch tief versunken in die Lektüre des finanziellen Teils, als Allan den Tisch verließ und ins Bibliothekszimmer ging. Dort mußten sich zwei Bücher befinden, in denen er dringend nachlesen wollte. Eine Zeitlang hatte er Angst, sein Vater könnte sie vielleicht erst nach 1945 gekauft haben. Schließlich aber fand er sie und trug sie hinaus auf die Veranda, zusammen mit einem Bleistift und einem Stück gelben linierten Papiers. In seiner hinter ihm liegenden Zukunft – man konnte diese Zeit ebensogut als seine zukünftige Vergangenheit bezeichnen – hatte Allan sich angewöhnt, sein ganzes Nachdenken sozusagen mit dem Bleistift zu bewerkstelligen. Ganz gleichgültig, ob er Reporter war, Romanschriftsteller, Chemiker in seinem Privatlaboratorium, wissenschaftlicher Forschungsoffizier – stets waren seine Gedanken klarer geworden, wenn er sich Notizen machte. Er schob einen Stuhl zum Tisch und erhöhte dessen Sitz, indem er Kissen aufeinanderlegte. Wie lange es wohl dauern würde, bis er sich an das Mißverhältnis zwischen dieser Jungengröße und den Möbelstücken gewöhnt hatte? Als er das Buch öffnete und den Bleistift in die Hand nahm, fehlte ihm nur eine einzige Sache zu seinem Glück. Wie gerne hätte er eine Pfeife geraucht!
Der Vater kam heraus und streckte sich in einem flachen Rohrstuhl aus. In der Hand hielt er die literarische Beilage der Times. Die Morgenstunden vergingen.
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