Science Fiction Anthologie Band 4 - Die Vierziger Jahre 2
Aber sie verzeihen einem, daß man in manchen Dingen gut ist, nur, wenn man in anderen nicht gut ist und sie das ausgleichen können. In irgend etwas müssen sie einem überlegen sein, müssen das ausgleichen können. Ein Kind hat überhaupt keine Chance. Kein Erwachsener kann es ertragen, wenn ein Kind irgend etwas weiß, was er nicht weiß. Oh, in Kleinigkeiten, ja, wenn sie sie amüsieren … aber nicht viel. Es gibt da eine alte Geschichte über einen Mann, der sich in einem Land befand, wo alle anderen blind waren. So bin ich auch – aber die werden mir nicht die Augen ausstechen. Ich werde nie zulassen, daß sie erfahren, daß ich
etwas sehe.“
„Siehst du Dinge, die Erwachsene nicht sehen können?“ Tim deutete auf die Zeitschrift.
„Nur so, meinte ich. Ich höre Leute reden, in der Straßenbahn und in Läden und bei der Arbeit und so. Ich lese, wie
sie sich verhalten – in den Nachrichten. Ich bin wie sie,
genau wie sie, nur daß ich mir hundert Jahre älter vorkomme – reifer.“
„Du meinst also, daß die meisten ziemlich unvernünftig
sind?“
„Nein, das nicht. Ich meine nur, daß so wenige von ihnen vernünftig sind oder das zeigen, wenn sie es sind. Sie scheinen es nicht einmal zu wollen. Auf ihre Art sind es gute Leute, aber was meinen Sie wohl, was die aus mir machen würden? Selbst als ich erst sieben war, konnte ich ihre Motive schon verstehen, aber sie selbst konnten ihre eigenen Motive nicht verstehen. Und sie sind so faul – sie wollen gar nichts wissen oder begreifen. Die meisten der Bücher, die ich mir aus der Bibliothek geholt habe, um aus ihnen zu lernen, wurden nur ganz selten von den Erwachsenen Leuten auch nur angerührt. Dabei waren sie für ganz normale, erwachsene Leute bestimmt. Aber die erwachsenen Leute wollen gar nichts wissen – sie wollen nur ihren Spaß haben. Ich empfinde für die meisten Leute das, was meine Großmutter für Babys und junge Hunde empfindet. Nur daß sie nicht die ganze Zeit vorgeben muß, ein junger
Hund zu sein“, fügte Tim etwas bitter hinzu.
„Du hast jetzt in mir einen Freund.“
„Ja, Peter“, sagte Tim und sein Gesicht hellte sich dabei
auf. „Und Brieffreunde habe ich auch. Die Leute mögen das,
was ich schreibe, weil sie nicht wissen können, daß ich nur
ein kleiner Junge bin. Wenn ich einmal erwachsen bin …“ Tim führte den Satz nicht zu Ende. Welles verstand jetzt
einige der Ängste, die Tim nicht gewagt hatte, in Worte zu
fassen. Wenn er erwachsen war, würde er dann ebenso weit
über allen Erwachsenen stehen, so wie er das bisher sein
ganzes junges Leben lang über seinen Altersgenossen gestanden hatte? Die erwachsenen Freunde, denen er jetzt auf
einigermaßen gleichem Niveau begegnete – würden sie
ihm dann auch wie Babys oder junge Hündchen vorkommen?
Peter wagte es auch nicht, den Gedanken in Worte zu kleiden. Noch viel weniger brachte er es fertig, einen anderen Gedanken auch nur anzudeuten. Bis jetzt hatte Tim kein besonderes Interesse an Mädchen entwickelt; sie existierten für ihn als Teil der menschlichen Rasse, aber einmal würde die Zeit kommen, in der Tim ein erwachsener Mann sein und den Wunsch verspüren würde, zu heiraten. Und wo unter allen jungen Hündchen konnte er eine Gefährtin
finden?
„Wenn du erwachsen sein wirst, werden wir immer noch
Freunde sein“, sagte Peter. „Und wer sind die anderen?“ Es erwies sich, daß Tim auf der ganzen Welt Brieffreunde hatte. Er spielte Korrespondenzschach – ein Spiel, das
er nie persönlich zu spielen wagte, nur dann, wenn er sich
dabei zwang, die Steine unbedacht über das Spielfeld zu
bewegen und den Gegner wenigstens bei der Hälfte aller
Spiele gewinnen zu lassen.
Und dann hatte er auch viele Freunde, die eine seiner
Kurzgeschichten oder einen Artikel aus seiner Feder gelesen und ihm dazu einen Brief geschrieben hatten, woraus
sich eine Korrespondenzfreundschaft entwickelt hatte.
Nachdem ihm das zwei- oder dreimal passiert war, hatte er
selbst Brieffreundschaften begonnen, immer mit Leuten,
die in großer Entfernung lebten. Den meisten dieser Leute
nannte er einen Namen, der zwar nicht falsch war, aber
doch so aussah. Nämlich T. Paul Lawrence. Lawrence war
sein Mittelname, und wenn man nach dem Paul ein Komma setzte, war es sogar sein eigener Name. Er besaß unter
diesen Namen ein Schließfach und hatte T. Paul, den Besitzer des großen Bankkontos, dafür als Referenz angegeben.
„Brieffreunde im Ausland? Beherrschst du irgendwelche
Fremdsprachen?“
Ja,
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