Science Fiction aus Deutschland
utopischen Phantasien nachjagen, Ihr habt doch den Boden der Realität unter den Füßen verloren. Unser Traum von Orgon und Freiheit dagegen ist real. Wir verwirklichen ihn täglich, wir leben in ihm. Er ist es uns wert, zu kämpfen und zu töten. Nun bin ich doch noch an der Front gelandet, dort, wo ich nie hin wollte. Aber ich werde nicht für euer Orgon-System sterben, sondern für unseres. Unsere Philosophie ist der Orgonismus. Jeder Mensch hat Orgon im Überfluß, wenn man dafür lebt und arbeitet. Und zu sterben bereit ist.
Nieder mit dem Orgon-Imperialismus!
Orgon für alle – alle für Orgon!
Euer Till
»Schrecklich, Mutter. Till kämpft in Australien.«
»Ja. Aber ich habe mir das überlegt. Er wäre ja sowieso Soldat geworden. Und sicher wäre er nach Australien geschickt worden. Und … verheizt worden …«
»Mutter, wie kannst du so reden?«
»Doch – wir wollten ihn in einem barbarischen Krieg verheizen!«
»Nein, Mutter. Das ist nicht wahr. Aber lassen wir das. Er ist jetzt Soldat und kämpft auf der anderen Seite. Wir können es nicht mehr ändern. Er hat es so gewollt. Es ist sein Leben.« »Nein, er hat es nicht so gewollt, Vater. Er hat etwas anderes gewollt. Etwas ganz anderes auch als diese Traumwelt, die doch gar nicht existiert. Wir haben seinen Hilferuf nur nie verstanden …«
»Und dieser engagierte Text für das Gute und Gerechte entspricht dem, was viele Jugendliche heute denken und wollen? Haben Sie Recherchen angestellt?«
»Ja, das habe ich.«
»Wir werden das prüfen. – Sie rechnen also damit, wenn ich Sie richtig verstanden habe, daß die Konsumenten sich bestätigt fühlen und unbewußt ihren Elan einsetzen, um die Ordnung, wie sie heute ist, zu verteidigen? Ich kann Ihnen da nicht ganz folgen.«
»Ich glaube daran, weil unsere neue Regierung Reformpläne aufgestellt hat, die sich ja auch den Jugendproblemen widmen. Die freiwerdenden Kräfte – sofern wir damit kalkulieren können – müssen in die Reformbewegung einfließen, die doch systemerhaltend ist, denn unsere neue Regierung will unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung schützen …« »Und wenn diese Kräfte nicht in die Reformbewegung einfließen, was dann?«
»Das ist erfahrungsgemäß nur bei einer verschwindend kleinen Minderheit der Fall. Diese Minderheit verstärkt wiederum nur die Reformbemühungen der Regierung. Jener Teil der Jugend, der den ökonomischen Umsturz plant, wird durch diese Story keinen Zulauf erhalten. Denn sie besitzt doch keinerlei Aufklärungswert über die …«
»Warum sprechen Sie nicht weiter?« forderte der Lektor impertinent lächelnd den Autor Nummer 34 auf.
»… über die Realität, wollte ich sagen«, vollendete dieser seinen Satz. »Ich meine … weil doch diese Story einen utopischen Hintergrund hat und …«
»Stolpern Sie nicht über Ihre eigenen Beine«, warnte der Lektor. »Dennoch – es stimmt, was Sie sagen. Ist wohl auch richtig so, nicht wahr? Verstehen wir uns? Ich glaube, Sie haben den Dialogversuch ganz schlau angefangen. Obwohl man deutlich spürt, daß es Ihnen schwerfiel, Ihre Sympathien mit den Systemkritikern zu verbergen.«
»Sie meinen …?«
»Schon die Verfremdung durch den Gebrauch des Orgon-Begriffs aus dem Wortschatz Wilhelm Reichs – einem früheren linken Psychoanalytiker – zeigt, daß Sie sich mit dem Storyhelden weitgehend identifizieren. Oder irre ich mich da? Doch ist das nur gut …«
»Reich bezeichnete damit allerdings eine mystische Sexualenergie, die im Kosmos …«
»Na ja, er drehte zum Schluß durch. Halten Sie sich an meinen Rat: Machen Sie einen zweiten Dialog und versuchen Sie dabei, sich bewußt zur Systemkritik zu bekennen. Sie werden sehen, die Dialoge gelingen Ihnen um so besser; sie werden echter und natürlicher. Sehen Sie das Ganze doch als eine Art Versuch über sich selbst an. Tun Sie, als müßten und wollten Sie sich selbst beschreiben. Damit kommen Sie viel weiter. Könnte eine Extraprämie einbringen. Und Sorgen politischer Natur brauchen Sie sich keine zu machen. Mit Versuchungen dieser Art haben wir doch alle zu kämpfen, oder? Falls Sie zu weit gehen, bügelt das einer Ihrer Kollegen schon wieder aus. Darauf soll es nicht ankommen. Na, dann viel Freude bei der Arbeit.«
Wohlwollend lächelnd klopfte ihm der Lektor auf die Schulter und verließ so lautlos wie er gekommen war die Kabine. Ohne das einstudierte Grinsen ging er an den vielen Glaskabinen vorüber, die eine neben der anderen
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