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Scream

Scream

Titel: Scream Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Mooney
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schlagen hörte, übertönt von Miles Hamiltons Gelächter.

XLV
    Den letzten Korridor beleuchtete eine Reihe schwach glimmender Glühbirnen. Das einzig natürliche Licht fiel durch ein hohes vergittertes Fenster am Ende des Ganges.
    Den Blick gesenkt auf das weiße Linoleum am Boden und bemüht, den Kopf frei zu behalten, folgte Jack einem Pfleger namens Rick vorbei an verschlossenen Türen, hinter denen Schreie und lautes Stöhnen zu hören waren. Er fühlte sich unsicher auf den Beinen, so, als würde er nach monatelanger Bettlägerigkeit zum ersten Mal wieder auf den Füßen stehen. Seine Hände waren schweißnass. Der Pfleger warf ihm immer wieder verstohlene Blicke zu.
    »Dr. Voyles sagte, ich könne ihn allein sehen«, erklärte Jack mit heiserer Stimme, wie durch einen Wattepfropfen in der Kehle gepresst.
    Der Pfleger nickte. Die Schritte der beiden hallten durch den Flur. Du bewegst dich zu schnell, zu hektisch, dachte Jack und verlangsamte seinen Schritt. Ruhe bewahren, schärfte er sich ein.
    »Was treibt er so den ganzen Tag? Dr. Voyles war mit seinen Auskünften sehr zurückhaltend.«
    »Er liest. Fachliteratur – Chemie, Physik und Mathematik, Sachen, von denen ich keinen Schimmer habe«, antwortete der Pfleger. »Er steht im Austausch mit einer Forschergruppe in Tokio, die sich, glaube ich, mit einem Teilchenbeschleuniger beschäftigt. Aber die meiste Zeit sitzt er da und …« Rick schüttelte den Kopf.
    »Was?«
    »Ich dachte gerade daran, dass er über uns alle hier bestens Bescheid zu wissen scheint. Über unser Privatleben, unsere Familien, was unsere Frauen und Kinder so tun. Er hat offenbar alles klar vor Augen. Unheimlich ist das. Die meisten machen einen Bogen um ihn.«
    Jack blickte nach vorn auf die Tür, der sie sich näherten.
    »Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Wir hatten hier einen Pfleger, frisch verheiratet, sehr still und immer für sich. Als er Hamilton eines Morgens das Frühstück brachte, fragte der ihn nach dem Typen, den er, der Pfleger, am Abend zuvor abgeschleppt hatte. Er nannte den Namen der Schwulenbar, auch den Namen des Typen. Er wusste, wo dieser Pfleger wohnte – einfach alles. Der Kollege hat noch am selben Tag seinen Job geschmissen und ist in einen anderen Staat umgezogen.«
    Jack war darauf gefasst, dass Miles versuchen würde, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen und ihm zu zeigen, dass er, Miles, nach all den Jahren immer noch Einfluss auf sein Leben nehmen konnte. Während des Fluges hatte sich Jack fest vorgenommen, Hamiltons Wahnsinn abzuwehren und einen kühlen Kopf zu bewahren. Trotzdem glaubte er, Amandas Stimme zu hören, und sah die Szene im Schlafzimmer deutlich vor sich. Er wischte sie beiseite und konzentrierte sich auf die vierte Familie.
    »Er hat viel über Sie nachgedacht«, erzählte Rick. »Einmal – aber das ist schon Jahre her – ertappte ich ihn dabei, wie er auf ein Stück Papier starrte, auf dem Ihr Name geschrieben stand. Sonst nichts, nur Ihr Name. Er hat diesen Zettel immer noch.« Rick krauste die Stirn. »Wissen Sie, unsere besten Psychiater haben sich die Zähne an ihm ausgebissen und sind am Ende alle zu dem gleichen Ergebnis gekommen: Der Kerl hat nur Scheiße im Kopf.«
    Sie hatten die Tür erreicht. Rick suchte an seinem Bund nach dem passenden Schlüssel und warf Jack einen Blick zu, der einen Schritt zur Seite getreten war, um sich nicht in dem kleinen Fensterausschnitt der Tür zu zeigen. Rick schloss auf.
    Jack hatte den Eindruck, als blähte sich in seiner Brust ein Ballon auf, der ihm die Atemwege zu versperren drohte. Er holte tief Luft, bis es im Inneren brannte, atmete langsam aus und ging in Gedanken an die vierte Familie in eine weiße Zelle aus Stahl und Beton.
    Hinter einer Gitterwand saß Miles Hamilton an einem Tisch vor einem Stoß Papier und schrieb. Mit der linken Hand schirmte er seine Augen ab. Neben dem Ellbogen lagen ein Plastiklöffel und eine mit Haferbrei gefüllte Schale aus Styropor. Auf einem kleinen Regal an der Wand stand ein halbes Dutzend Mathematikbücher.
    Hamilton hob den Zeigefinger, um sich Ruhe auszubitten, und schrieb weiter. Jack nutzte die Gelegenheit und musterte ihn von Kopf bis Fuß.
    Hamilton hatte sich über die Jahre kaum verändert; es schien, als wäre er in Formalin konserviert. Seine kurzen blonden Haare waren seitlich gescheitelt und mit Wasser gekämmt. Die glatte Haut war so bleich wie Pergament. Die Gefängniskleidung hing schlaff von seinen knochigen Schultern.

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