Scream
Fernseher zugewandt. Oder vielleicht ist er eingeschlafen, dachte Bond. Es war kurz nach halb zwölf.
Bond steckte den Spiegel in die Tasche zurück und winkte Nelson zu sich.
Der pyrotechnische Satz bestand aus einem explosiven Stoffgemisch der Gefahrenklasse C. Er sollte der Zielperson die Orientierung nehmen. Nelson wäre, wenn das Ding hochging, mit seiner Waffe zur Stelle. Gleichzeitig würde draußen die Stromzufuhr gekappt werden, um Alarmsysteme, falls es die denn gab, außer Kraft zu setzen, damit die Kollegen der Eingreiftruppe das Haus stürmen konnten.
Von Nelson dicht gefolgt, schlich Bond tief geduckt ins Wohnzimmer. Der Lauf seiner MP5 war auf die Rückenlehne des Sessels gerichtet. Sein Herz schlug gleichmäßig. Er war hoch konzentriert. Mit langsamen Bewegungen zog er den Sprengsatz aus der Weste.
Nelson sah ihn in Erwartung eines Einsatzzeichens an.
Auf geht’s, dachte Bond. Er zog den Sicherungsstift mit den Zähnen ab und warf den Sprengsatz in Richtung Kamin. Kaum traf er auf dem Boden auf, explodierte er mit ohrenbetäubendem Lärm.
Nelson sprang mit einem weiten Satz vor den Sessel, zielte mit seiner Waffe auf das Gesicht der dort sitzenden Person und schaltete die taktische Leuchte ein, als sämtliche Lichter ausgingen.
»KEINE BEWEGUNG!«
Der Mund der Zielperson war weit aufgerissen, ein rotes Loch, in dem noch immer ein unausgestoßener Schrei zu stecken schien. In den dunkelblauen Augen spiegelte sich blankes Entsetzen. Der Mann trug einen Smoking. Auf den Händen, die auf seinem Schoß ruhten, lag ein in Silberpapier eingeschlagenes Päckchen mit einer großen weißen Schleife.
Die Haustür flog krachend auf, Fensterscheiben klirrten. Agenten stürmten mit gezogenen Waffen ins Haus. Grelle Lampenstrahlen strichen über Wände und Boden.
»Ich fass es nicht«, sagte Nelson.
Bond starrte auf das Päckchen und schob das Mikro vor die Lippen. »Zentrale, können Sie das sehen?«
»Nein. Wir haben eine Bildstörung. In welchem Zustand ist die Zielperson?«
»Sie ist … Sie ist tot, Sir. Sie trägt einen Smoking und hält ein Geschenk in den Händen. Darauf liegt eine zusammengefaltete Glückwunschkarte. Ich kann nicht lesen, was draufsteht.« Sieht aus, wie mit einem Buntstift geschrieben, dachte Bond.
»Vorsicht«, warnte Brungardt. »Das Geschenk könnte eine Bombe sein.«
Bond schaute genauer hin, um sich zu vergewissern, dass die Karte nicht verdrahtet war. Dann nahm er sie zur Hand und klappte sie auf.
»Zentrale, auf der Karte steht: ›Alles Gute zum Jahrestag, Alan. Wir hoffen, dass dir unser Geschenk gefällt. Liebe Grüße, die Kinder von Graves.‹«
Das Päckchen explodierte.
Bond flog rücklings über den Tisch und riss den Laptop zu Boden. Ihm blieb die Luft weg, er wusste sofort: Das war bloß Schwarzpulver, zum Glück kein C4 oder Semtex.
Das Headset war vom Kopf gerutscht. Er konnte nicht hören, was Brungardt ihm zubrüllte. Konfetti rieselte auf den Sessel herab. Es roch nach Schießpulver und verbranntem Horn. Durch Schlieren schwarzen Rauchs sah Bond, dass der Leiche im Sessel die Haare weggeflammt waren. Das Gesicht war rußgeschwärzt. Das zerfetzte Päckchen lag am Boden und hatte Feuer gefangen.
Bond trat die Flammen aus. Er blickte auf die Hände des Toten und sah einen Gegenstand zwischen den verstümmelten Fingern. Auch Nelson hatte ihn bemerkt und starrte ihn an.
Bond traute seinen Augen kaum. Er schwenkte die Kamera darauf, die auf der rechten Schulter befestigt war.
»Zentrale, zwischen den Beinen unseres Mannes klemmt etwas. Können Sie’s sehen?«
»Nein. Können Sie es identifizieren?«
»Ja.«
»Was ist es?«
»Ein Dildo, Sir.«
LXVII
Alan stand im Abstand von drei Schritten vor dem Sessel und starrte auf Victor Dragos’ Leiche, zu benommen, um einen Gedanken zu fassen oder irgendetwas zu empfinden. Von den Männern, die durch den Raum gingen, nahm er kaum Notiz. Glasscherben knirschten unter ihren Sohlen, und durch die zerschlagenen Fenster tönte das schrille Zirpen von Zikaden.
Dass dem Opfer sämtliche Zähne fehlten, wusste Alan als Hinweis zu deuten. Vor über zehn Jahren waren zwei Männer auf Malcolm Fletcher angesetzt worden mit dem Auftrag, ihn zu liquidieren. Einer der beiden wurde bewusstlos von der Polizei aufgefunden; er hatte sich von seinen Verletzungen nie wieder erholen können. Der andere blieb verschollen. Seine Zähne waren Alan am Tag vor Weihnachten mit der Post zugeschickt worden. Und nun Victor Dragos,
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