Scream
hatte kantige Kieferknochen und einen kahlrasierten Schädel. »Sir, Direktor Paris ist am Apparat und möchte mit Ihnen reden. Wir haben eine geschützte Leitung eingerichtet, dort drüben in dem Anhänger. Wenn Sie mir bitte folgen würden –«
Unterwegs warf Davis einen Blick in den Beutel. Darin waren Munns Brieftasche, die nichts von Belang enthielt, sein Ausweis mit Lichtbild, die Dienstmarke und ein paar gefaltete Papierblätter voller Blutflecken.
Auf einem der Blätter waren die Grundrisse sämtlicher Stockwerke des Gebäudes skizziert. Ein grüner Strich markierte den Weg vom Fahrstuhl zum Zimmer Nummer 496, Gardners Büro, kein Zweifel. Am Rand waren per Handschrift ein paar technische Anmerkungen zum Sicherheitssystem des Gebäudes vermerkt sowie mehrere Zugangscodes. Was aber Davis aus dem Tritt brachte und anhalten ließ, war etwas anderes.
Auf dem zweiten Blatt klebte ein gelber Notizzettel. Darauf stand in blauer Tinte zu lesen: »Nachprüfen, wohin der Patient während der letzten drei Tage gereist ist, und mich sofort verständigen. Wir müssen die Sache so schnell und leise wie möglich ins Reine bringen.« Das Wort »leise« war dreifach unterstrichen.
Am oberen Rand des Notizzettels stand ein Name, aufgedruckt in schwarzen Buchstaben: Alan Lynch.
Der Direktor der Investigative Support Unit.
War Munn ein Profiler gewesen? Und wenn ja, was hatte er hier in dieser staatlichen Forschungseinrichtung verloren? Und was für eine Rolle spielte Gardner?
Davis sah den Anhänger vor sich. FBI-Direktor Harrison Paris war genau der richtige Adressat für seine Fragen.
XVI
Die drahtlose Überwachungskamera war als Vogelnest getarnt und auf den Ast eines hundertjährigen Ahornbaums montiert worden, der nahe der Straße am Rand der kleinen Baumgruppe stand – dem Haus der Roths genau gegenüber. Die Kamera war inzwischen auseinandergenommen worden. Die Einzelteile lagen auf einer roten Wolldecke auf der Kühlerhaube des Porsche.
Mit einem sehr kleinen Schraubendreher schob Jack einen winzigen Kabelbaum im Inneren der Kamera beiseite. Selbst hier im Schatten fühlte es sich trotz der Böen, die vom Meer kamen, wie in einem Dampfbad an.
»Siehst du?«, fragte Jack.
Mike Abrams beugte sich vor und blinzelte angestrengt. Er trug eine karierte braune Hose und ein weißes Hemd, das unter den Armen und auf dem Rücken nass geschwitzt war. Er roch nach Kölnischwasser und dem Kaugummi, den er mit seinen Backenzähnen bearbeitete.
»Sieht aus wie die LED-Anzeige eines Pagers«, meinte Mike.
»Das ist ein Pager. Ich glaube, das Ding wurde eingebaut, um Energie zu sparen. Der Akku hält nicht lange, maximal neun Stunden. Mit dem Pager konnte unser Freund die Kamera per Fernbedienung ein- und ausschalten.«
»Ein Tüftler«, bemerkte Mike. »Und von welcher Reichweite können wir ausgehen?«
»Hundert Meter, höchstens. Und das auch nur bei optimalen Verhältnissen. Kein Wind, keine elektromagnetischen Störungen.«
Mike schüttelte den Kopf. »Hundert Meter, meine Güte. Das ist nicht viel.«
»Ich vermute, dass er dahinten auf der Atlantic Avenue mit seinem Wagen stand. Vielleicht hat er einen Transporter,in dem er sich verschanzen kann, ohne aufzufallen. Der wird ihn auch vor den umherfliegenden Trümmerteilen geschützt haben.«
Mike musterte wieder die Kamera. »Vielleicht hat er alles aufgezeichnet.«
Jack nickte. »Anzunehmen. Einer wie er, der Kontrolle ausüben und sich an seinen Rachephantasien weiden will, wird dafür sorgen, dass er seine Triumphe immer wieder auskosten kann. Ein selbst gedrehtes Video wäre genau das Richtige für ihn.«
Jack warf den Schraubendreher auf die Decke. Sein Hemd war an mehreren Stellen aufgerissen, und die Rippen, die er sich im vergangenen Monat gebrochen hatte, taten nach der Kletterpartie im Baum höllisch weh. Er hatte nicht warten können und darauf verzichtet, die Feuerwehr zu rufen, zumal er kein Aufsehen erregen wollte. Also war er auf eigene Faust in den Baum gestiegen, hatte sich an dem langen Ast entlanggehangelt und das Vogelnest geborgen. Beim Abstieg wäre er fast abgerutscht, hatte aber im letzten Augenblick einen tiefer hängenden Zweig zu fassen bekommen und statt gebrochener Knochen ein paar Prellungen hinnehmen müssen.
»Ich habe die Feuerwehr zum Haus der Dolans geschickt und ihr erklärt, wonach sie suchen soll«, berichtete Jack. »Und sie haben tatsächlich zwei Kameras gefunden, beide wie diese hier sorgfältig getarnt. Zwei Kollegen
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