Scream
Nachtsichtgerät. Das Feuerwerk hätte gestört, ebenso die Lichter der Polizei.
Also mit einem Fernglas. Lautlos und aus sicherer Entfernung. Du hast alles jahrelang genauestens geplant und warst vor Ort, um dich am Chaos zu ergötzen. Mit dabei und gleichzeitig in Sicherheit zu sein hat für dich höchste Priorität. Du musstest alles mit ansehen. Aber von wo?
Ein neues Bild zeichnete sich ab: die Schlafzimmerbeleuchtung – ein Zahnrad im Getriebe seiner Vorstellungen setzte sich in Bewegung. Die Lichter im Schlafzimmer waren genau im richtigen Moment angegangen. Zugegeben, später hatte er erfahren, dass es in dieser Nacht ausgerechnet in dieser Straße zu einem Spannungsabfall gekommen war, aber für Jack stand nach wie vor fest, dass der Sandmann die Lichter eingeschaltet hatte. Als ich die Tür öffnete, habe ich die Lichtschranke unterbrochen und den Zünder der Bombe aktiviert. Möglich, dass damit auch die Lampen eingeschaltet wurden. Waren sie auch mit dem Zünder verbunden? Wenn ja, wie hast du das angestellt?
Dann erinnerte er sich, dass die Fenster im Parterre offen, die Rollos aber heruntergezogen waren, während die Fenster im Schlafzimmer geschlossen und unverblendet waren. Ja. Larry Roth schrie, aber sein Mund war zugeklebt, und die Fenster waren geschlossen, denn hätte draußen jemand etwas gehört, wären deine Pläne womöglich nicht aufgegangen. Die explodierenden Feuerwerkskörper hatten das Schlafzimmer erhellt und glühende Farben auf Roths angsterfülltes Gesicht geworfen. Hast du die Rollos absichtlich oben gelassen?
Natürlich.
Warum?
Um mich sehen zu können.
Eine vage Ahnung streifte Jack wie eine elektrostatische Ladung.
Um mich sehen zu können, musste es im Schlafzimmer hell sein. Darum hast du die Rollos nicht zugezogen, nicht wahr? Das Feuerwerk hat für Licht gesorgt. Du konntest mich sehen. Aber von wo? Vom Strand nicht, und wohl auch nicht von einem Boot aus. Nicht aus so großer Distanz.
Die Lichtschranke. Der Laptop mit Telefonanschluss, über den du die Bombe zünden konntest. Alles ganz sicher und ferngesteuert. Und warum gingen die Lampen an, als ich Roth den Klebestreifen vom Mund gezogen hatte? Das war doch kein Zufall. Auch das war geplant, stimmt’s?
Der Gedanke verblasste. Jack hielt nicht länger daran fest. Er wartete. Es dauerte nicht lange, und der Gedanke kehrte zurück wie ein verlorener Freund. Zum ersten Mal seit sieben Jahren meldete sich wieder diese flache, kalte Stimme: Die Frage ist nicht, von wo er dich beobachtet hat, sondern wie. WIE war es möglich, dass er dich im Schlafzimmer gesehen hat? Wie konnte er dich aus dem Haus laufen sehen?
Es durchzuckte ihn wie ein Stromschlag.
»Du verdammtes Schwein«, entfuhr es Jack, und er umklammerte das Seilstück mit der Faust. So genial. So einfach.
»Überwachungskameras. Natürlich. Du hattest mich die ganze Zeit über im Auge.«
XV
Tom Davis half gerade seinem elfjährigen Sohn dabei, seine Sachen und die Medizin für den zweiwöchigen Trip ins Camp für Meeresbiologie bei Bar Harbor, Maine, zu packen, als das Telefon klingelte. Davis nahm den Anruf in seinem Büro entgegen. Als Special Agent des FBI leitete er seit nunmehr zwölf Jahren die Außenstelle in San Diego, und weil seine Frau ein Faible für Schmuck hatte, kannte er sich in La Jolla sehr gut aus. Doch dass das FBI in diesem exklusivsten Wohnviertel von San Diego eine Forschungseinrichtung unterhielt, war ihm neu.
Er wohnte am Rand von Ocean Beach, also nicht weit entfernt. Doch schon nach wenigen Minuten Fahrt blieb er im Verkehr stecken. Leute standen vor ihren Fahrzeugen und starrten sprachlos auf die riesige Rauchsäule, die über der Stadt in den azurblauen Himmel aufstieg. Er schaltete die Sirene ein und umfuhr etliche Staus, kam aber nach wenigen Kilometern nicht mehr weiter. Auf der Straße, die nach La Jolla führte, häuften sich Trümmer und Glasscherben. Fast alle Fensterscheiben der angrenzenden Häuser waren geborsten, die Autos zum Teil schwer demoliert. Aus Richtung der Rauchsäule trieben Staubwolken wie Nebelbänke herbei und breiteten sich auf weiter Fläche aus.
Seine verdreckten Kleider stanken nach Schweiß und Rauch, als er Stunden später auf dem Parkplatz vor dem gesprengten Gebäude auf einer Holzplatte kniete, die Teil eines Schreibtisches gewesen zu sein schien. Die Explosion hatte die parkenden Autos durcheinandergewürfelt. Kaum eines stand mehr auf den Rädern, und alle waren überhäuft von
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