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Scriptum

Scriptum

Titel: Scriptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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bevorzugte Version mit dem
     fundamentalen Ritual der Eucharistie, dem letzten Abendmahl. Und das war noch nicht alles. Das Markusevangelium erwähnt in
     seiner frühesten Fassung weder Jungfrauengeburt noch Auferstehung. Es endet mit dem leeren Grab, an dem ein geheimnisvoller
     junger Mann, eine Art transzendentales, engelsgleiches Wesen, einigen Frauen berichtet, Jesus erwarte sie in Galiläa. Die
     Frauen erschrecken, laufen weg und erzählen es niemand, sodass man sich fragt, wie Markus oder wer auch immer das Evangelium
     verfasst hat, überhaupt davon erfahren konnte. So jedenfalls endete das ursprüngliche Markusevangelium. Erst im Matthäusevangelium,
     das viel später entstand, und weitere zehn Jahre danach bei Lukas finden wir die aufwändigen Schilderungen des auferstandenen
     Jesus, die man dem mittlerweile ebenfalls überarbeiteten Markusevangelium hinzugefügt hatte.
    Wiederum zweihundert Jahre später, Anno 367, um genau zu sein, stand der Kanon der siebenundzwanzig Texte, die wir heute als
     Neues Testament kennen, endgültig fest. Am Ende dieses Jahrhunderts war das Christentum zur offiziell anerkannten Religion
     geworden und der Besitz von Texten, die als häretisch eingestuft wurden, ein Verbrechen. Alle bekanntenAbschriften der alternativen Evangelien wurden verbrannt oder auf andere Weise zerstört. Alle bis auf jene, die man in den
     Höhlen von Nag Hammadi verbarg und in denen Jesus alles andere als übernatürlich erscheint.» Vance fixierte Reilly. «Sie wurden
     verboten, weil Jesus in diesen Texten nur ein umherziehender Weiser war, der predigt, dass man ohne Besitz durchs Leben wandern
     und seine Mitmenschen von ganzem Herzen akzeptieren solle. Er ist nicht gekommen, um uns von Sünde und ewiger Verdammnis zu
     erlösen. Er ist hier, um uns zu einem spirituellen Verständnis zu führen. Sobald ein Jünger die Erleuchtung erlangt, wird
     der Meister überflüssig – eine Vorstellung, die Irenäus und seinen Getreuen schlaflose Nächte bereitet haben dürfte. Schüler
     und Lehrer werden eins. Die vier kanonisierten Evangelien des Neuen Testaments schildern Jesus als Retter, als Messias, den
     Sohn Gottes. Orthodoxe Christen – wie übrigens auch orthodoxe Juden – bestehen darauf, dass es eine unüberwindliche Kluft
     zwischen Mensch und Schöpfer gebe. Die Evangelien, die man in Nag Hammadi gefunden hat, widersprechen dem; in ihnen ist Selbsterkenntnis
     gleich der Erkenntnis Gottes; das Selbst und das Göttliche sind ein und dasselbe. Schlimmer noch, indem sie Jesus als Lehrer,
     als erleuchteten Weisen beschreiben, bezeichnen sie ihn auch als Menschen, als jemanden, dem Sie oder ich es gleichtun können.
     Das aber wollten Irenäus und Konsorten nicht dulden. Jesus durfte kein bloßer Mensch sein. Er musste mehr sein als das, der
     Sohn Gottes. Er musste
einzigartig
sein, weil dadurch auch die Kirche als einziger Weg zur Erlösung
einzigartig
würde. Indem ihn die frühe Kirche in diesem Licht schildert, konnte sie behaupten, dass jeder, der sich nicht an ihre Regeln
     hielt und so lebte, wie sie es verlangte, der Verdammnis anheim fiele.»
    Vance hielt inne, bevor sein Flüstern förmlich die Stille durchschnitt.
    «Agent Reilly, ich will damit sagen, dass die unmittelbaren Nachfolger Jesu etwas völlig anderes geglaubt haben als das, was
     Christen heute glauben und seit dem vierten Jahrhundert geglaubt haben. Sie glaubten nicht an die Riten, die seither eingehalten
     werden, an die Eucharistie und die Kirchenfeste. Alles wurde ausgedacht und viel später hinzugefügt, die Rituale und der Glaube
     an übernatürliche Dinge wie die Auferstehung und Weihnachten, die oftmals aus anderen Religionen übernommen wurden. Allerdings
     haben die Kirchenväter ganze Arbeit geleistet. Die Bibel ist seit beinahe zweitausend Jahren ein Bestseller, aber, nun ja,
     die Templer hatten wohl doch Recht. Schon zu ihrer Zeit war die Sache aus dem Ruder gelaufen, und Menschen wurden abgeschlachtet,
     die lieber etwas anderes glauben wollten.» Er deutete zornig mit dem Finger auf Reilly.
    «Und wenn man die heutige Welt betrachtet, muss man doch sagen, dass die Bibel ihr Haltbarkeitsdatum deutlich überschritten
     hat.»

KAPITEL 68
    «Und Sie meinen, dass sich Beweise dafür auf der
Faucon du Temple
befanden?», fragte Reilly ganz direkt. «Beweise für die Tatsache, dass die Evangelien Fiktion sind, wie Sie es ausdrücken?
     Dass Jesus kein göttliches Wesen war? Ich verstehe durchaus, dass dies

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