Scriptum
du von mir? Dass ich New York wochenlang hinhalte und mit dir nach Wracks tauche?»
Ihre grünen Augen blickten verärgert. «Ich kann es nicht fassen. Verdammt, Sean, du weißt doch, was die machen, wenn sie herausfinden,
wo es ist!»
«Wer?»
«Der Vatikan! Wenn sie das Astrolabium in die Hände bekommen und das Wrack finden, wird die Welt nie mehr ein Wort darüber
hören. Sie sorgen dafür, dass es wieder verschwindet, und zwar nicht nur für siebenhundert Jahre.»
«Es ist ihre Berufung», sagte er reserviert. «Manche Dinge sollte man eben ruhen lassen.»
«Das kannst du nicht machen.»
«Was soll ich denn tun? Dir helfen, etwas vom Meeresboden zu holen und es stolz zu präsentieren, damit sich alle daran verschlucken?
Er hat deutlich gesagt, worauf er aus ist», sagte Reilly und deutete auf Vance. «Er will die Kirche vernichten. Und dabei
soll ich dir allen Ernstes helfen?»
«Natürlich nicht. Aber es könnte sein, dass eine Milliarde Menschen einer Lüge anhängt. Macht dir das gar nichts aus? Schuldest
du ihnen nicht die Wahrheit?»
«Vielleicht sollten wir sie erst fragen.»
Er rechnete damit, dass sie ihn weiter drängen würde, doch sie schüttelte nur den Kopf. Die Enttäuschung war ihr deutlich
anzumerken.
«Möchtest du es denn nicht wissen?», fragte sie schließlich.
Reilly hielt ihrem Blick einen Moment stand, bevor er sich abwandte. Er schwieg. Er musste erst über alles nachdenken.
Tess nickte und schaute zu der Lichtung hinüber, auf der sie Vance zurückgelassen hatten. Nach längerem Schweigen sagte sie
dann: «Ich … ich brauche was zu trinken.» Dann eilte sie den Hang hinunter zu dem schimmernden Bachlauf.
Er sah, wie sie im Schatten verschwand.
Wilde Gedanken wirbelten durch ihren Kopf, als sie zu der Lichtung stolperte, auf der sie den Pick-up abgestellt hatten.
Sie kniete sich neben den Bach und trank von dem kühlen Wasser. Ihre Hände zitterten. Sie schloss die Augen und atmete tief
die frische Nachtluft ein, doch ihr rasender Herzschlag wollte sich nicht beruhigen.
Aber das ist eigentlich nicht unsere Aufgabe, oder?
Reillys Worte verfolgten sie.
Sie schaute zu dem gezackten Hügelkamm hinauf, wo sich Reillys Gestalt vor dem Nachthimmel abzeichnete. Eine Entscheidung
musste her. Angesichts des ganzen Blutvergießens und all der offenen Fragen war seine Absicht, Vance nach New York zu bringen,
vermutlich sehr vernünftig.
Aber Tess war sich nicht sicher, ob sie das einfach akzeptieren konnte. Dazu stand zu viel auf dem Spiel.
Sie warf einen Blick auf Vance. Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt, mit gefesselten Händen lehnte er am Wagen. Das
Mondlicht glitzerte in seinen Augen und verriet ihr, dass er sie beobachtete.
Da kam ihr die Idee.
Ein verstörender, rücksichtsloser Gedanke, der messerscharf das Chaos in ihrem Inneren durchschnitt.
Und sosehr sie sich bemühte, sie konnte ihn nicht mehr abschütteln.
Reilly wusste, dass Tess Recht hatte. Sie sprach die Zweifel an, die ihm im Gespräch mit Vance selbst gekommen waren. Natürlich
wollte er es wissen. Mehr noch, er
musste
es wissen. Andererseits musste er sich unabhängig von seinen Gefühlen an die Regeln halten. Das war seine Maxime, außerdem
bliebihm keine Wahl. Es war keine bloße Ausrede gewesen, dass sie nicht selbst nach dem Wrack tauchen konnten. Wie denn auch? Er
war FB I-Agent , kein Tiefseetaucher. Seine vorrangige Aufgabe war es, Vance und das Astrolabium nach New York zu bringen.
Doch er wusste genau, wie die Sache enden würde.
Er schaute in die Nacht hinaus, sah wieder Tess’ Gesicht vor sich, ihre Enttäuschung und spürte schmerzlich, dass er ebenso
enttäuscht war. Er wusste nicht, was zwischen ihnen hätte entstehen können, wenn sie genügend Zeit gehabt hätten, doch nun
sah es so aus, als scheiterte ihre Beziehung an seinem felsenfesten Glauben.
Plötzlich ertönte ein Motorgeräusch.
Ganz nah.
Verblüfft sah er, wie sich der Pick-up in Bewegung setzte.
Instinktiv griff er nach der Hosentasche, dann wurde ihm klar, dass der Neoprenanzug keine hatte. Er hatte die Autoschlüssel
unter den Fahrersitz gelegt. Tess hatte neben ihm gesessen.
Ihm wurde schwindlig vor Entsetzen.
«Tess!», brüllte er und hastete den Abhang hinunter. Er wirbelte Steine auf, verlor das Gleichgewicht und taumelte ungeschickt
dahin. Als er die Lichtung erreichte, war von dem Fahrzeug nur noch eine Staubwolke zu sehen.
Er kochte vor Wut auf sich
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