Scriptum
vom Hören berühmten Gebäude an Herrlichkeit und Größe weit übertraf», wie es der jüdische
Historiker Flavius Josephus seinerzeit beschrieb, ein weiteres Mal zerstört.
Knapp hundert Jahre später brach ein zweiter jüdischer Aufstand los, der von den Römern gleichfalls erstickt wurde. Diesmal
wurden alle Juden aus Jerusalem verbannt, und auf dem Tempelberg wurden Tempel zu Ehren Jupiters und des vergöttlichten Kaisers
Hadrian errichtet. Sechshundert Jahre später sollte am nämlichen Ort ein weiteres Heiligtum erbaut werden: Mit dem Aufstieg
des Islam ging auch die Eroberung Jerusalems durch die Araber einher, die der heiligsten Stätte des Judentums eine neue Deutung
verliehen. Sie galt fortan als der Ort, von dem aus der Prophet Mohammed auf seinem Pferd gen Himmel aufgestiegen war. Und
so ließ Kalif Abd El-Malik im siebten Jahrhundert an ebenjener Stelle den Felsendom errichten, bis heute eines der wichtigsten
Heiligtümer des Islam. Mit einer Unterbrechung jedoch: Während der Herrschaft der Kreuzfahrer im Heiligen Land wurde der Felsendom
– unter dem Namen «Templum Domini», Tempel des Herrn – in eine christliche Kirche umgewandelt, und unmittelbar neben der zum
selben Gebäudekomplexgehörenden Al-Aqsa-Moschee schlugen die aufstrebenden Tempelritter ihr Hauptquartier auf.
Die Phantasie der Menschen in ganz Europa entzündete sich rasch an der heroischen Vorstellung von neun tapferen Mönchen, die
sich mutig der Verteidigung wehrloser Pilger verschrieben hatten. Den Templern wurde bald eine geradezu schwärmerische Verehrung
zuteil, und entsprechend groß war der Zulauf neuer Rekruten. Adlige aus ganz Europa ließen es nicht an Unterstützung fehlen,
überhäuften den Orden mit Geldspenden und Landschenkungen. Nachhaltig gefördert wurde diese Entwicklung durch den päpstlichen
Segen, der den Templern erteilt wurde, eine seltene Gunst, zumal zu einer Zeit, als der Papst von allen Königen und Nationen
des Abendlandes als höchste Autorität der Christenheit anerkannt wurde. Und so wuchs der Orden, langsam zunächst, dann immer
schneller. Die Ordensritter waren vorzüglich ausgebildete Kämpfer; mit ihren Erfolgen auf dem Schlachtfeld dehnten sie auch
ihre übrigen Aktivitäten aus. Der Schutz der Pilger, ihre ursprüngliche Mission, trat nach und nach in den Hintergrund. Zunehmend
galten sie als militärische Verteidiger des Heiligen Landes.
In nicht einmal hundert Jahren stiegen die Templer zu einer der reichsten, mächtigsten Institutionen in Europa auf, an Machtfülle
nur noch übertroffen vom Papst. Sie nannten riesige Ländereien in England, Schottland, Frankreich, Spanien, Portugal, Deutschland
und Österreich ihr Eigen. Und mit ihrem weit verzweigten Netzwerk von Ländereien und Burgen etablierten sie sich bald als
die ersten international agierenden Bankiers der Welt, sie verliehen Geld an bankrotte Monarchen in ganz Europa, hüteten die
ihnen anvertrauten Vermögen von Pilgern und erfanden praktisch denbargeldlosen Geldverkehr. Als Zahlungsmittel diente in jener Zeit Gold oder Silber, dessen Wert seinem Gewicht entsprach.
Statt sich mit ihrem Vermögen auf Reisen zu begeben und Gefahr zu laufen, ausgeraubt zu werden, konnten Pilger das Geld in
einer beliebigen Templerburg oder einem Templerhaus in Europa hinterlegen, wo ihnen im Gegenzug eine verschlüsselte Quittung
ausgehändigt wurde. Am Ziel ihrer Reise brauchten sie diesen Einzahlungsbeleg nur im örtlichen Templerhaus vorzulegen, wo
er mit Hilfe der vom Orden streng gehüteten Techniken entschlüsselt wurde, und erhielten dann den entsprechenden Geldbetrag.
Tess schaute Reilly an, um zu sehen, ob er noch zuhörte. «Aus einem Grüppchen von neun edelmütigen Adligen, die sich der Verteidigung
des Heiligen Landes vor den Sarazenen verschrieben hatten, wurde rasch die mächtigste, geheimnisumwobenste Organisation ihrer
Zeit, die es an Reichtum und Einfluss mit dem Vatikan selbst aufnehmen konnte.»
«Und dann brach das Unheil über sie herein, nicht wahr?», fragte Reilly.
«Ja. Und wie. Im dreizehnten Jahrhundert eroberten die muslimischen Armeen das Heilige Land schließlich zurück und vertrieben
die Kreuzfahrer, diesmal endgültig. Zu weiteren Kreuzzügen nach Palästina kam es nicht. Nach ihrer Niederlage in Akkon 1291
verließen die Templer das Land als Letzte. Bei ihrer Rückkehr nach Europa war ihnen ihr eigentlicher Daseinszweck abhanden
gekommen. Es gab
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