Scriptum
schon seit langem in ihm schwelte.
Dem hast du mich schon längst ausgeliefert, dachte Molay. Gaspard schaute in seine Richtung, mit Augen, die unter den dichten
Brauen so tot waren wie die Steine am Kerkerboden. Der König trat näher und musterte Molay eingehend, ein Taschentuch an die
Nase gepresst, um sich vor dem Gestank zu schützen, den der Großmeister längst nicht mehr wahrnahm.
«Redet, verdammt», herrschte der König ihn an, ein lautes Zischeln, das die muffige Luft durchschnitt. «Wo ist der Schatz?»
«Es gibt keinen Schatz», entgegnete Molay müde, mit kaum hörbarer Stimme.
«Warum müsst Ihr so starrsinnig sein?», raunte der König heiser. «Wozu soll das gut sein? Eure Brüder haben alles offenbart;
eure schändlichen Aufnahmeriten, bei denen eure frommen Kreuzritter die Göttlichkeit Christi geleugnet, auf das Kreuz gespuckt
und sogar ihr Wasser darauf gelassen haben. Sie haben alles gestanden … alles.»
Molay fuhr sich mit seiner geschwollenen Zunge über die rissigen Lippen. «Unter solcher Folter», brachte er mühsam zustande,
«würden sie gestehen, Gott selbst umgebracht zu haben.»
Philipp kam noch ein wenig näher. «Die heilige Inquisition wird obsiegen», stellte er ungehalten fest. «Das sollte einem Mann
Eurer Intelligenz einleuchten. Gebt mir einfach, was ich will, und ich verschone Euer Leben.»
«Es gibt keinen Schatz», wiederholte Molay im Tonfall eines Menschen, der sich damit abgefunden hat, bei seinen Zuhörern kein
Gehör zu finden. Gaspard Chaix jedoch, dasspürte Molay schon lange, glaubte seinen Beteuerungen; was ihn aber nicht davon abhielt, sein Opfer immer wieder brutal zu
misshandeln. Gewiss wusste auch der Papst, dass Molay die Wahrheit sagte, wenn sich das Oberhaupt der Kirche auch hüten würde,
dem König dieses kleine Geheimnis anzuvertrauen. Der König wiederum war so dringend auf die Reichtümer angewiesen, die der
Templerorden in den letzten zweihundert Jahren angehäuft hatte, dass er außerstande war, angesichts des geschundenen Mannes,
der vor ihm an der Mauer hing, zu der einzig vernünftigen Schlussfolgerung zu gelangen.
«Es ist zwecklos.» Der König wandte sich ab. Obwohl sein Zorn nicht verraucht war, schien er resigniert zu haben, ganz wie
sein Opfer. «Der Schatz muss damals in der ersten Nacht fortgeschafft worden sein.»
Molay behielt den Papst, der weiter mit abgewandtem Gesicht dastand, genau im Auge. Wie meisterlich der Schuft seine Schachzüge
ausgeführt hatte! Der Gedanke bereitete dem Großmeister eine schale Genugtuung, mehr noch, er bestärkte ihn in seiner Entschlossenheit.
Schließlich war das Handeln dieses hinterlistigen Menschen geradezu ein Beleg dafür, wie vornehm das Ziel der Templer gewesen
war.
Der König bedachte den gedrungenen Kerkermeister mit einem kalten Blick. «Wie viele von ihnen leben noch in diesen Mauern?»
Molay erstarrte. Endlich, nach all den Jahren, würde er erfahren, was aus seinen Brüdern aus dem Pariser Tempel geworden war.
Gaspard Chaix teilte dem König mit, vom Großmeister abgesehen sei nur noch sein Stellvertreter, Geoffroi de Charnay, am Leben.
Der alte Templer schloss die Augen, während eine Flutentsetzlicher Bilder auf ihn einstürmte. Alle tot, dachte er. Dabei waren wir unserem Ziel so nahe. Wenn doch nur … wenn doch nur Nachricht gekommen wäre, vor all den Jahren, von der
Faucon du Temple
, von Aimard und seinen Männern.
Aber sie hatten nie wieder von ihnen gehört.
Die
Faucon du Temple
– und ihre kostbare Fracht – war einfach verschwunden.
Der König wandte sich um und warf einen letzten Blick auf den geschundenen Mann. «Beendet es», befahl er.
Der Kerkermeister schlurfte einen Schritt näher. «Wann, Eure Majestät?»
«Morgen früh», sagte der König, dessen Stimmung sich bei der Aussicht aufzuhellen schien.
Bei diesen Worten durchströmte Molay eine Empfindung, die er zunächst nicht erkannte. Ein Gefühl, das er seit vielen Jahren
nicht mehr empfunden hatte.
Erleichterung.
Verstohlen blickte er zum Papst, der sich sichtlich Mühe geben musste, seine Freude zu verbergen.
«Was ist mit ihren Besitztümern?», fragte der Papst mit bebender Stimme. Molay mutmaßte, dass es nur noch um Dinge ging, die
nicht veräußert werden konnten, um die Schulden des Königs tilgen zu helfen. «Die Bücher, Dokumente, Kunstgegenstände. All
das gehört der Kirche.»
«Dann nehmt den Plunder.» Der König winkte unwillig ab. Nach
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