Scriptum
Sollte sie die Suche nach Vance aufgeben und ihr Glück lieber mit
Simmons versuchen? Trotzdem, ihre Neugier war geweckt. Sie wandte sich wieder ihrem Computer zu und klickte die Internetausgabe
der
New York Times
an. Sie wählte die Suchfunktion aus und stellte erleichtert fest, dass das Archiv bis ins Jahr 1996 zurückreichte. Sie gab
«William Vance» ein, klickte den Button «Nachrufe» an und wurde fündig.
Der kurze Artikel gab das Ableben seiner Ehefrau Martha bekannt. Von Komplikationen nach einer kurzen schweren Krankheit war
die Rede, nähere Einzelheiten wurden nicht genannt. Eher beiläufig fiel Tess ins Auge, wo die Beisetzung stattgefunden hatte:
auf dem Greenwood-Friedhof in Brooklyn. Sie überlegte. Ob Vance wohl noch für die Grabpflegeaufkam? In dem Fall musste man bei der Friedhofsverwaltung über seine aktuelle Anschrift verfügen.
Kurz erwog sie einen Anruf bei dem Friedhof, verwarf die Idee aber sofort wieder. Eine solche Auskunft würde man ihr wahrscheinlich
ohnehin nicht geben. Widerstrebend suchte sie die Karte heraus, die Reilly ihr gegeben hatte, und rief sein Büro an. Ein Kollege
meldete sich und sagte, er sei gerade in einer Besprechung. Tess hielt es für besser, dem Beamten nichts von ihrem Anliegen
zu verraten, und beschloss zu warten, bis sie mit Reilly persönlich sprechen konnte.
Sie schaute wieder auf ihren Bildschirm, überflog den Nachruf noch einmal. Plötzlich durchfuhr es sie heiß.
Die Sekretärin hatte Recht gehabt. Martha Vance war tatsächlich im Frühjahr gestorben.
Ihr Todestag jährte sich am morgigen Tag zum fünften Mal.
KAPITEL 29
«Die Autopsie bestätigt, dass auch Waldron ermordet worden ist.» Reilly warf einen Blick in die Kollegenrunde, die um den
Tisch im Besprechungszimmer versammelt saß. Monsignore De Angelis war ebenfalls zugegen. «In seinem Blut wurden Spuren von
Lidocain gefunden. Dabei handelt es sich um ein Betäubungsmittel, aber es wurde ihm weder von Ärzten noch vom Pflegepersonal
verabreicht. Wegen der hohen Dosis kam es bei ihm schließlich zu Herzversagen. Interessanterweise weist auch sein Hals Einstichspuren
auf. Offenbar wurden mit dem Lidocain seine Stimmbänder betäubt, damit er nicht um Hilfe schreien konnte.»
Dem Monsignore war anzusehen, wie sehr ihn Reillys Ausführungen entsetzten. Unruhe machte sich auch unter den anderen Anwesenden
breit, dem leitenden Ermittlerstab im Fall METRAID: Jansson, Buchinski, Amelia Gaines, Aparo, Blackburn und zwei Beamte aus
seiner Einheit. Mit im Raum befand sich außerdem ein junger Techniker, der für die Audio-Video-Anlage zuständig war. Reillys
Bericht war allerdings Besorgnis erregend.
«Im Stall wurden darüber hinaus Gerätschaften zur Kaltbrandmarkierung gefunden», fuhr Reilly fort, «mit denen Petrovic die
Brandzeichen der Pferde unkenntlich gemacht haben könnte, die sie bei dem Überfall benutzt haben. Ausalldem lässt sich zweierlei folgern. Entweder lässt hier der eigentliche Drahtzieher im Hintergrund seine Handlanger beseitigen,
oder einer aus der Bande hat beschlossen, dass er nicht mit den anderen teilen will. Wie dem auch sei, der Mörder hat noch
mindestens einen Reiter, möglicherweise aber auch beide, im Visier. Und der Kerl will offenbar keine Zeit verlieren.»
De Angelis wandte sich an Reilly. «Sie haben im Stall wohl keine unserer geraubten Wertgegenstände sichergestellt?»
«Bedauerlicherweise nicht, Pater. Genau wegen dieser Gegenstände wurden sie ja ermordet.»
De Angelis nahm seine Brille ab und putzte mit einem Ärmel an den Gläsern herum. «Und was ist mit diesen extremistischen Gruppen,
von denen Sie erzählt haben? Haben Ihre Ermittlungen da schon irgendwelche Erfolge gezeitigt?»
«Bisher noch nicht. Zwei Gruppen, die in jüngster Zeit gegen die katholische Kirche gewettert haben, weil sie ihnen kritisch
gegenübersteht, nehmen wir gerade genauer unter die Lupe. Da beide im Mittleren Westen ansässig sind, kümmern sich unsere
dortigen Dienststellen darum. Einen schlüssigen Beweis haben sie allerdings noch nicht in der Hand, bloß einen Haufen vager
Drohungen.»
De Angelis setzte stirnrunzelnd seine Brille wieder auf. Er schien sichtlich bemüht, seine Beunruhigung zu überspielen. «Dann
bleibt uns wohl nichts übrig, als weiter abzuwarten.»
Reilly warf einen Blick in die Runde. Bisher waren sie bei der Aufklärung des Falls, so sah es leider aus, kaum nennenswert
vorangekommen. Das Gesetz des
Weitere Kostenlose Bücher