Scriptum
beängstigend. Alchemisten
bedienten sich eigentümlicher Instrumente und mystischer Beschwörungen, sie verwendeten rätselhafte Symbole und suggestive
Farben. Schließlich wurden die Schriften des Aristoteles verboten. Zu jener Zeit stand jegliche Wissenschaft, also auch die
Alchemie, im Verdacht, die Autorität der Kirche in Frage zu stellen. Eine Wissenschaft, die spirituelle Reinigung versprach,
kam sogar einem direkten Angriff auf die Kirche gleich. «Was», so fuhr De Angelis fort, «eine weitere Erklärung dafür bietet,
dass der Papst nicht einschritt, als die Templer verfolgt wurden. Der Zeitpunkt, der Ort, der Ursprung des Ganzen – alles
passt zusammen.» Der Monsignore blickte seine Zuhörer an. «Verstehen Sie mich nicht falsch», er lächelte beruhigend. «Ich
will damit nichtsagen, dass eine solche Formel existiert, auch wenn es mir keineswegs abwegiger erscheint als die übrigen phantasievollen
Theorien über das große Geheimnis der Templer, die bereits diskutiert wurden. Ich will lediglich sagen: Ein Mann, der den
Bezug zur Realität verloren hat, könnte ohne weiteres
glauben,
eine solche Formel existiere.»
Tess warf einen raschen Blick zu Reilly, ehe sie nach kurzem Zögern De Angelis fragte: «Aber warum sollte Vance Gold herstellen
wollen?»
«Sie vergessen eines: Dieser Mann denkt nicht nüchtern und rational. Das haben Sie selbst gesagt, Miss Chaykin. Man braucht
sich ja nur die Vorfälle im Museum anzusehen. Kein geistig gesunder Mensch würde etwas Derartiges planen. Und unter dem Aspekt,
dass der Mann sich nicht rational verhält, ist nichts ausgeschlossen. Vielleicht ist das Ganze für ihn nur ein Mittel zum
Zweck, ein Mittel, um wer weiß welches irrsinnige Ziel zu erreichen, das er sich in den Kopf gesetzt haben mag.» Der Monsignore
zuckte die Schultern. «Dieser Vance … er ist ganz offenkundig geistig zerrüttet und besessen von irgendeiner verrückten Schatzsuche. Mir scheint, Sie haben es
da mit einem Wahnsinnigen zu tun. Worauf auch immer er aus sein mag, früher oder später wird er begreifen, dass er einem Gespenst
nachjagt, und mir graut bei der Vorstellung, wie er dann reagieren wird.»
Auf die ernüchternden Worte des Monsignore folgte ein unbehagliches Schweigen.
Schließlich beugte sich Jansson vor. «Was immer er sich da in den Kopf gesetzt hat, jedenfalls scheint es ihn nicht zu kümmern,
über wie viele Leichen er dafür gehen muss. Wir müssen ihn aufhalten. Aber im Augenblick haben wir wohl nichts weiter in der
Hand als diese verdammten Blätter.» Erhielt erneut seine Kopie des Manuskriptes hoch. «Wenn wir sie lesen könnten, würden sie uns möglicherweise verraten, wie er
weiter vorgehen wird.» Er wandte sich an Reilly. «Was sagen die Experten?»
«Sieht nicht gut aus. Ich habe noch kurz vor unserer Besprechung mit Terry Kendricks geredet. Er ist nicht gerade zuversichtlich.»
«Warum nicht?»
«Sie haben herausbekommen, dass es sich bei der Chiffrierung im Prinzip um eine Mehrfachsubstitution mit polyalphabetischer
Verschlüsselung handelt. Nichts allzu hoch Entwickeltes, das Militär arbeitet seit Jahrzehnten mit solchen Techniken. Aber
um einen solchen Schlüssel zu knacken, ist man entscheidend auf Häufigkeitsverteilungen und -muster angewiesen. Man identifiziert Wörter, die wiederholt vorkommen, erschließt ihre Bedeutung und arbeitet sich auf dieser Grundlage
weiter vor, bis man irgendwann den Schlüssel abgeleitet hat und diesen wiederum auf die noch nicht dechiffrierten Textteile
anwendet. In unserem Fall liegt einfach nicht genügend Ausgangsmaterial vor. Wenn der Text länger wäre oder wenn es weitere
Dokumente gäbe, die auf dieselbe Weise chiffriert wären, könnten unsere Leute den Schlüssel ziemlich leicht herausfinden.
Aber sechs Seiten reichen als Arbeitsgrundlage einfach nicht aus.»
Janssons Miene verdüsterte sich. «Ich kann es nicht fassen. Die haben ein Budget von mehreren Milliarden Dollar und sind nicht
in der Lage, etwas zu knacken, was sich ein paar Mönche vor mehr als siebenhundert Jahren ausgedacht haben?» Er zuckte die
Schultern und stieß langsam die Luft aus. «Also gut. Dann vergessen wir jetzt dieses verdammte Manuskript und konzentrieren
uns auf etwas anderes. Wir müssenalles, was wir bislang in der Hand haben, noch einmal durchgehen, bis wir auf einen neuen Anhaltspunkt stoßen.»
De Angelis beobachtete Tess aufmerksam. Sie schwieg. Als sie ihn
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