Scriptum
Aimard. «Einen Brief, der zum Meister des Pariser Tempels gebracht werden muss.
Niemand anders darf ihn sehen.» Er reichte Martin das Schriftstück, das für den jungen Ritter vollkommen unleserlich war.
Aimard deutete mit einer Kopfbewegung auf die Maschine mit den Rädchen, die neben ihm stand. «Er ist verschlüsselt … für den Fall, dass er in falsche Hände gerät.»
Aimard warf einen Blick nach draußen zu den anderen. «Wir befinden uns in Feindesland, und ihr seid nur noch zu viert», fuhr
er fort. «Bleibt nicht länger zusammen, als unbedingt nötig. Teilt euch dann in zwei Paare auf und reist auf verschiedenen
Wegen nach Paris. Ich habe eine Abschrift des Briefes angefertigt, jede Zweiergruppe soll ein Exemplar mitnehmen. Mache den
anderen begreiflich, dass es sich um eine Mission von höchster Wichtigkeit handelt, aber ich beschwöre dich: Enthülle nicht
die Wahrheit, die du hier von mir erfahren hast, es sei denn, du bist überzeugt, dass dein eigener Tod unmittelbar bevorsteht.»
Martin musterte seinen alten Freund eingehend und fragte dann: «Und wenn wir alle unterwegs umkommen? Was wird dann aus dem
Orden?»
«Es gibt noch mehr Eingeweihte», beruhigte ihn Aimard. «In Paris und an anderen Orten. Die Wahrheit wird nie verloren gehen.»
Er hielt inne, um Atem zu schöpfen. «Manches von dem, was in dem Brief steht, ist nur mir bekannt, auch wenn Hugues gewiss
das eine oder andere erraten hat. Aber er stellt keine Fragen. Er mag nicht zu unserer Bruderschaft gehören, doch er ist ein
Mann von unerschütterlicher Loyalität. Du kannst dich auf ihn verlassen, so wie ich mich auf dich verlasse.»
Mit diesen Worten förderte Aimard aus seinem Wams zwei Päckchen zutage, die in geöltes Pergament gewickelt waren. «Nimm sie
jetzt. Und gib eines davon dem anderen Paar.»
«Hugues?»
Aimard schüttelte den Kopf. «Nein. Er gehört nicht unserem Orden an. Es könnte der Zeitpunkt kommen, an dem der Meister des
Pariser Tempels niemand anderem als einemechten Bruder Gehör schenkt. Ich denke, Hugues sollte besser mit dir gehen.»
Martin nickte nachdenklich, ehe er fragte: «Was wird aus Euch?»
Aimard hustete und fuhr sich mit einer Hand über den Bart. Martin bemerkte, dass sein Speichel mit Blut vermischt war. «Bisher
hatten wir Glück, aber unterwegs warten zweifellos noch mehr Gefahren auf euch», erwiderte Aimard. «Ihr dürft euch nicht mit
Kranken und Verwundeten aufhalten. Später nicht, und jetzt erst recht nicht. Wie ich schon sagte: Meine Reise endet hier.»
«Wir können Euch doch nicht hier zurücklassen», versuchte Martin zu protestieren.
Aimard fasste sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Rippen. «Es ist schon ein Glück, dass ich nach dem Unfall auf dem
Schiff überhaupt so weit gekommen bin», sagte er. «Nimm die Briefe und geh. Du musst es irgendwie bis nach Paris schaffen.
Auf deinen Schultern ruht jetzt eine große Last.»
Martin de Carmaux nickte, schloss seinen Freund und Mentor noch einmal in die Arme und ging zu den Übrigen hinaus, die bei
den Pferden auf ihn warteten.
Er sprach kurz mit ihnen, dann drehten sie sich alle zu Aimard de Villiers um. Dieser erwiderte ihre Blicke einen Moment lang,
ehe er sich mühsam erhob und auf unsicheren Beinen zu dem Brunnen ging. Er trug das Gerät mit den Hebeln und Rädchen in den
Händen. Gebannt sah Martin zu, wie sein alter Freund es an der steinernen Brunneneinfassung zerschmetterte und die Bruchstücke
nacheinander in den Schacht fallen ließ.
«Möge Gott mit Euch sein», sagte Martin leise. «Und mit uns allen.»
Er fasste eines der Pferde am Zügel, schwang sich in den fremden Sattel, und wenig später ritten die vier mit ihren Ersatzpferden
im Gefolge hintereinander durch die Ruinen des Dorfes. Nachdem sie den Ort hinter sich gelassen hatten, wandten sie sich nach
Nordwesten, einem ungewissen Schicksal entgegen. Niemand konnte wissen, welche Gefahren ihrer auf der langen Reise nach Frankreich
noch harrten.
KAPITEL 48
Tess streifte in Gedanken noch durch das mamelukische Hinterland, als Janssons Stimme sie aus dem Mittelalter in die Gegenwart
und auf den harten Boden der Tatsachen zurückholte.
«Wir müssen davon ausgehen, dass Vance den Text inzwischen ebenfalls übersetzt hat», begann er mürrisch.
Reilly nickte. «Auf jeden Fall.»
Sie besann sich darauf, wo sie war, und blickte in die Runde, die Blätter noch immer fest umklammert. Die Gesichter der
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