Scriptum
«Ja, und wahrscheinlich werde
ich mich noch selbst dafür ohrfeigen, dass ich Sie zu dieser Besprechung eingeladen habe.» Seine Miene wurde ernst. «Um ehrlich
zu sein, ich war hin und her gerissen, ob ich es tun sollte.»
«Da bin ich aber froh, dass Sie sich am Ende zur weniger langweiligen Entscheidung haben hinreißen lassen.»
Er mochte dieses durchtriebene Grinsen. Überhaupt wurde ihm in diesem Moment bewusst, wie sehr er sich zu Tess hingezogen
fühlte. Er dachte daran, wie ihr Gesicht vor Begeisterung gestrahlt hatte, als sie vorhin im Konferenzraum die nachgebaute
Chiffriermaschine sah. Das war ansteckend. Diese Frau besaß noch die Fähigkeit, eine intensive, echte, unverhohlene Lebensfreude
zu empfinden, wie sie den meisten Menschen abhanden gekommen war. Ihm selbst jedenfalls, so weit er zurückdenken konnte.
«Hören Sie, Tess. Ich weiß, das muss für Sie eine ganz große Sache sein, aber –»
Sie nutzte die kurze Pause, um ihm ins Wort zu fallen. «Was ist mit Ihnen? Was bedeutet es für Sie?»
Reilly wand sich innerlich; er war es nicht gewöhnt, dass jemand nach seinen Motiven forschte. Nicht, wenn er an einem Fall
arbeitete. Es war eine Frage, die sich einfach nicht stellte. Normalerweise jedenfalls nicht. «Wie meinen Sie das?»
«Ich meine, geht es Ihnen hier nicht auch um mehr als nur darum, Vance hinter Schloss und Riegel zu bringen?»
Die Antwort darauf schien auf der Hand zu liegen. «Momentan kann ich es mir nicht leisten, darüber hinaus zu denken.»
«Das kaufe ich Ihnen nicht ab!», antwortete Tess heftig. «Kommen Sie schon, Sean. Sie können mir doch nicht weismachen, dass
Sie die ganze Sache nicht auch fasziniert. Herrgott nochmal, die haben eine verschlüsselte Botschaft geschrieben. Über etwas,
wovon ihre gesamte Zukunft abhing. Sie wurden dafür auf dem Scheiterhaufen verbrannt,ausgelöscht, vernichtet. Sind Sie denn überhaupt nicht neugierig, was in diesem Grab verborgen liegt?»
Es fiel Reilly schwer, sich nicht von ihrer Begeisterung mitreißen zu lassen. «Erst einmal müssen wir ihn fassen. Diese Angelegenheit
hat schon zu viele Menschenleben gefordert.»
«Sogar mehr, als Sie denken. Wenn Sie all die Templer mitzählen, die damals umkamen …»
Ihr Kommentar ließ ihn das Ganze schlagartig aus einer völlig neuen Perspektive betrachten. Erst jetzt dämmerte ihm das ganze
Ausmaß dessen, womit sie es zu tun hatten. Doch diese erweiterte Sichtweise würde warten müssen; vorerst kam es für ihn allein
darauf an, den Fall METRAID abzuschließen. «Sehen Sie, und genau darum will ich nicht, dass Sie sich weiter einmischen. Es
macht mir Sorgen, wie sehr das alles Sie in Bann geschlagen hat.»
«Und trotzdem haben Sie mich herbestellt.»
Da war es wieder, dieses schelmische Grinsen. «Na ja … es scheint, als könnten wir im Augenblick Ihre Hilfe ganz gut gebrauchen. Mit etwas Glück fangen wir Vance vielleicht an
einer Grenze ab, aber falls nicht, wäre es ganz nett, wenn ein paar unserer Leute ihn in Fonsalis in Empfang nehmen könnten,
wo immer das sein mag.»
Tess drückte auf den Aufzugknopf. «Ich werde meine Denkerkappe aufsetzen.»
Reilly betrachtete sie, wie sie dastand, einen Mundwinkel ganz leicht verzogen und mit einem durchtriebenen Funkeln in ihren
grünen Augen. Er schüttelte kaum merklich den Kopf und konnte sich ein leises Kichern nicht verbeißen. «Ich wusste gar nicht,
dass Sie sie jemals abnehmen.»
«Oh, das soll durchaus schon vorgekommen sein.» Sie warf ihm einen koketten Blick zu. «In seltenen Fällen.»
Zwei leise Signaltöne kündigten den Aufzug an, dann glitt die Tür zur Seite. Die Kabine war leer. Reilly sah zu, wie Tess
hineintrat. «Sie passen doch auf sich auf?»
Sie wandte sich um und hielt eine Hand vor die Lichtschranke. «Nein, ich beabsichtige, mich absolut unentschuldbar tollkühn
in jede erdenkliche Gefahr zu stürzen.»
Reilly kam nicht mehr dazu, etwas zu erwidern, denn im nächsten Moment schloss sich die Aufzugtür. Er blieb stehen und hing
der Erinnerung an ihr strahlendes Gesicht nach, bis ihn gleich darauf das
Ping
eines anderen Aufzugs in seine Arbeitsrealität zurückholte.
Tess trat aus dem Gebäude, noch immer ein leichtes Schmunzeln auf dem Gesicht. Da bahnte sich etwas an zwischen ihr und Reilly,
das spürte sie. Und es gefiel ihr. Es lag schon einige Zeit zurück, dass sie zuletzt mit einem Mann angebändelt hatte, und
eigentlich, erinnerte sie
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