Scudders Spiel
Er sollte sich für sie freuen: eine einsame alte Frau, ein therapeutischer Dr. Besserman. Er heitert mich auf, hatte sie gesagt. Und warum nicht? Was den ehebrecherischen Aspekt betraf, so hatte sie diesen mit ihrem eigenen Gewissen auszumachen.
Er blieb, wo er war, auf das Geländer gestützt, und schaute hinab zu den Felsen und über die See hinaus. Als er vermuten durfte, daß Dr. Besserman wieder in seiner Hose stecken würde, ging er über die Veranda zurück, ohne in die Fenster zu sehen. Er betrat das Speisezimmer, ging durch zur Küche, stellte Kaffeewasser über und pfiff ein Lied, während er wartete, daß es aufkoche.
Nach einer Weile kam seine Mutter herein. »Ich möchte dich mit Dr. Besserman bekannt machen.«
Die freudige Gelöstheit war noch nicht von ihr gewichen. Dr. Besserman, in den Fünfzigern, jetzt mit einer Hornbrille und ganz und gar nicht verrückt wie ein Eichhörnchen, angetan mit ordentlicher Freizeitkleidung, gab ihm die Hand. Pete schüttelte sie.
»Dr. Besserman.«
»Peter.« Seine Mutter ging an ihnen vorbei. »Ist das Kaffee, was du da machst?«
Sie tranken ihn gemeinsam, zwanglos auf das Mobiliar der altmodischen Küche gestützt. Wenn es eine ›Atmosphäre‹ gab, dann allein in Peters Empfinden; seine Mutter und Dr. Besserman sprachen über eine Fahrt zur Landzunge, und er beteuerte, wie sehr er sich auf diese wöchentlichen Besuche freue. Pete fragte ihn nach seiner Praxis. Er sagte, seine Patienten wohnten weit verstreut, und er müsse viel herumfahren; er glaube nicht daran, daß er seine Arbeit durch Video-Einblendungen richtig tun könne. Pete mußte ihm zustimmen. Maudie sagte, Scudder sei für den Nachmittag fort, aber sie hoffe, er werde rechtzeitig zum Abendessen zurück sein. Dr. Besserman bleibe doch zum Abendessen, nicht wahr? Dr. Besserman, ganz der Hausfreund, versprach zu bleiben.
Nach dem Kaffee sagte Maudie, Dr. Besserman unternehme gewöhnlich einen Spaziergang zu den Felsen und hinunter zum Strand, er liebe die Küstenlandschaft. Pete sagte, er empfinde genauso, und vielleicht könnten sie zusammen gehen. Sie verließen die Küche durch die Hintertür und gingen über den Hof.
Dr. Besserman sagte: »Ich sah Sie draußen auf der Veranda.«
Petes Schritt kam nicht ins Stocken. »Es geht mich nichts an.«
»Maudie nicht.«
»Um so besser. Wie ich sagte, es geht mich nichts an.«
»Sie ist Ihre Mutter.«
»So etwas muß jeder mit sich selbst ausmachen. Und sie ist alt genug.«
Dr. Besserman verstand und ließ es auf sich beruhen. Pete konnte sich nicht klarwerden, was ihn zu dieser Antwort bewegt hatte, Diskretion oder Feigheit. Es war eine Nichtantwort gewesen. Sie folgten dem Pfad durch Gestrüpp und Büsche abwärts. Es herrschte Ebbe. Der Strand lag breit und trocken, der Seetang an den Felsen über der Niedrigwasserlinie war von der Sonne schwarz und spröde gebacken.
Dr. Besserman sagte: »Wenn Sie nicht über Ihre Mutter sprechen wollten, was wollten Sie dann?«
»Könnte ich nicht einfach den Strand mögen?«
»Wie Sie wollen.«
So viel berufsmäßige Direktheit ging Pete auf die Nerven. Hier wurde Überlegenheit hergestellt. Also fragte er: »Was, glauben Sie, wollte ich?«
Die Anstrengung hatte Dr. Bessermans Hornbrille auf die Nase rutschen lassen. Er schob sie wieder hinauf. »Ich nahm an, daß Sie über sich selbst sprechen wollten.«
Pete starrte ihn an, abermals in gefährlicher Nähe eines gewalttätigen Ausbruches. Aber die Vernunft riet ihm davon ab. Wenn der Mann ein Dummkopf war, was durchaus der Fall sein mochte, so hatte er es bisher verborgen. Außerdem war er alles, was Pete hatte. Der letzte elende Streich des Lebens wollte es, daß Dr. Besserman alles war, was Pete hatte.
Er suchte sich einen isolierten, von Seetang freien Felsblock und setzte sich darauf. »Vielleicht kommen wir später auf mich zu sprechen«, sagte er. »Einstweilen würde ich Sie gern nach meinem Vater fragen.«
»Er ist nicht mein Patient.«
»Ich meine, im allgemeinen. Die … allgemeine Situation.« Situationen, so erinnerte er sich, selbst gesagt zu haben, waren die Spezialität eines Kopfdoktors.
Dr. Besserman blickte vergeblich nach einer Sitzgelegenheit umher, dann hockte er sich unbeholfen nieder. »Scudder Laznett ist ein zorniger Mann.«
»Aber geistig gesund?«
»Gesund in einer verrückten Welt, verrückt in einer gesunden Welt.« Sehr verständig. »Ist es wichtig?«
»Es könnte wichtig sein.«
Dr. Bessermans Beinmuskeln
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