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SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Erikson
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die Arme. »Du hast gehört, was der Vogel gesagt hat, Kallor. Die Malazaner marschieren. Schneller als wir erwartet hatten, aber das ist alles.«
    »Du willst dir nur nichts anmerken lassen«, knirschte Kallor.
    Ohne weiter auf ihn zu achten, wandte Bruth sich wieder dem Großen Raben zu. »Sorge dafür, dass deine Verwandten sie im Auge behalten. Und über das, was um Korall herum geschieht, machen wir uns Sorgen, wenn wir Maurik erreichen und unsere Streitkräfte wieder vereinigt haben. Und schließlich, was deinen Herrn Anomander Rake angeht, hab Vertrauen, Scharteke.«
    »Auf Vertrauen willst du den Erfolg gründen? Wahnsinn! Wir müssen uns auf das Schlimmste vorbereiten!«
    Korlats Gedanken schweiften erneut ab. In letzter Zeit kam das häufig vor. Sie hatte vergessen, was die Liebe anrichten konnte, wie sie ihre Wurzeln durch ihre ganze Seele schlängelte, wie sie an ihren Gedanken zupfte und zerrte und eine fixe Idee in ihr reifte wie eine verführerische Frucht. Sie spürte nur, wie sie in ihr lebte, wuchs, alles, was sie war, in Beschlag nahm.
    Furcht um ihren Lord und ihre Verwandten schien beinahe belanglos. Sollte es wirklich notwendig werden, konnte sie auf ihr Gewirr zurückgreifen, ihn mittels der Pfade Kurald Galains erreichen. Doch sie empfand kein dringendes Bedürfnis, so etwas zu tun. Dieser Krieg würde seinen eigenen Weg finden.
    Ihre Wünsche wurden alle samt und sonders in den Augen eines Mannes gehalten. Eines Sterblichen von verwinkelter, kantiger Würde. Ein Mann, der seine Jugend hinter sich hatte, eine von Narben übersäte Seele – und doch hatte er sie ihr ausgeliefert.
    Es war eigentlich kaum zu glauben.
    Sie dachte daran, wie sie ihn das erste Mal aus der Nähe gesehen hatte. Sie hatte bei der Mhybe und Silberfuchs gestanden, hatte das Kind an der Hand gehalten. Er war an Dujeks Seite auf jenen Ort zugeritten, an dem damals die Verhandlungen stattgefunden hatten. Ein Soldat, dessen Namen sie bereits gekannt hatte – als einen gefürchteten Feind, dessen strategisches Können Bruth wieder und wieder getrotzt hatte, obwohl die Umstände gegen die schlecht verpflegten, zahlenmäßig geschwächten malazanischen Streitkräfte gesprochen hatten.
    Schon damals hatte er ihre Blicke angezogen wie ein Magnet.
    Und nicht nur ihre, wie ihr klar wurde. Ihr Lord hatte ihn Freund genannt. Etwas, das so selten geschah, dass es ihr immer noch den Atem zu verschlagen drohte. Anomander Rake hatte sich in all der Zeit, da sie ihn kannte, nur zu einem einzigen Freund bekannt, und das war Caladan Bruth. Und diese beiden Männer verbanden Jahrtausende geteilter Erfahrungen, ein Bündnis, das niemals zerbrochen war. Es hatte zahllose Auseinandersetzungen gegeben, oh, das schon, niemals jedoch eine endgültige, nicht wieder gutzumachende Trennung.
    Der Schlüssel dazu lag, wie Korlat sehr wohl verstand, darin, dass sie eine ansehnliche Distanz zueinander hielten, die von gelegentlichen Zusammentreffen unterbrochen wurde.
    Es war, wie sie glaubte, ein Verhältnis, das niemals zerbrechen würde. Und daraus war im Laufe von Jahrhunderten eine Freundschaft geboren worden.
    Aber Rake hatte nur ein paar Abende in Elsters Gesellschaft verbracht. Sie hatten Gespräche geführt, an denen sie selbst nicht teilgenommen hatte. Und es war genug gewesen.
    Irgendetwas in jedem von ihnen hat sie zu Brüdern im Geiste gemacht. Doch selbst ich kann nicht sehen, was es ist. Anomander Rake kann man nicht erreichen, kann man nicht wirklich berühren – nicht sein wahres Ich. Ich habe nie gewusst, was hinter den Augen meines Lords liegt. Ich habe nur die gewaltige Kapazität dieses Selbst gespürt – aber nicht den Geschmack all dessen, was es enthält.
    Aber Elster – mein teurer, sterblicher Geliebter – wenn ich auch nicht alles sehen kann, was in ihm ist, so kann ich doch erkennen, was es ihn kostet, es im Zaum zu halten. Das Blut, aber nicht die Wunde. Und ich kann seine Stärke sehen – auch letztes Mal, als er so erschöpft war …
    Genau im Süden waren die alten Mauern von Lest zu erkennen. Nichts wies darauf hin, dass seit der Eroberung durch die Pannionier Ausbesserungsarbeiten durchgeführt worden waren. Die Luft über der Stadt war frei von Rauch, und es waren keine Vögel zu sehen. Die Rhivi-Kundschafter hatten berichtet, dass es dort weiter nichts gab als ein paar verbrannte Knochen, die auf den Straßen herumlagen. Früher hatte es erhöhte Gärten gegeben, für die Lest bekannt gewesen war, doch das

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