SdG 05 - Der Tag des Sehers
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»Aber ich muss. Und so bin ich, wie Ihr sehen könnt, gleichermaßen wie Euer Freund Buke und doch nicht wie er. Vergebt mir, auf solchen Dingen ›herumzukauen‹. Ich weiß, dass meine Antwort auf mich wartet – schon bald, wie ich glaube –, und Ihr habt Recht, ich täte besser daran, mich in Geduld zu üben. Schließlich habe ich jetzt schon so lange durchgehalten.«
»Bleibt, wie Ihr seid, Itkovian«, sagte Grantl. »Wir reden zu viel, Stonny und ich, das ist alles. Vergebt uns.«
»Es gibt nichts zu vergeben, mein Herr.«
»Warum kann ich eigentlich keine normalen Freunde haben?«, wollte Stonny wissen. »Freunde ohne Tigerstreifen und Katzenaugen? Freunde, die keine hunderttausend Seelen mit sich herumschleppen? Da kommt ein Reiter von dieser anderen Kompanie, die hinterherhinkt – vielleicht ist der ja normal! Beim Vermummten, er ist angezogen wie ein Bauer und sieht einfältig genug aus, dass er wahrscheinlich nur einfache Sätze zustande bringt! Ein perfekter Mann! He! Ihr da! Was zaudert Ihr? Kommt doch zu uns! Bitte!«
Die hoch aufgeschossene Gestalt, die auf etwas ritt, das zu einer besonders merkwürdigen Zugpferdrasse zu gehören schien, lenkte ihr Reittier vorsichtig heran. In Daru, mit einem schrecklichen Akzent, schrie der Reiter: »Hallo, Freunde! Ist dies ein schlechter Zeitpunkt? Es scheint, als ob Ihr streitet – «
»Streiten?« Stonny schnaubte. »Wenn Ihr glaubt, dass das ein Streit war, dann habt Ihr viel zu lange in den Wäldern gelebt. Kommt näher, und wie, beim Abgrund, seid Ihr zu einer so riesigen Nase gekommen?«
Der Mann sackte zusammen, zögerte.
»Stonny!« mahnte Grantl. Er wandte sich an den Reiter. »Diese Frau ist zu jedem unverschämt und gemein, Soldat.«
»Ich war überhaupt nicht unverschämt«, rief Stonny »Große Nasen sind wie große Hände, das ist alles …«
Niemand sagte etwas.
Ganz langsam lief das lange, schmale Gesicht des Fremden dunkelrot an.
»Willkommen, mein Herr«, sagte Itkovian. »Ich bedauere, dass wir uns bisher noch nicht begegnet sind – vor allem, da wir anscheinend alle von Bruths Vorausabteilung und den Rhivi und allen anderen Truppenteilen zurückgelassen worden sind.«
Der Mann brachte ein Nicken zustande. »Ja. Haben wir schon bemerkt. Ich bin Hochmarschall Stroh von Motts Irregulären.« Seine hellen, wässrigen Augen richteten sich auf Grantl. »Hübsche Tätowierungen. Ich hab auch eine.« Er rollte einen schmutzigen Ärmel hoch und enthüllte ein stümperhaftes, verformtes Bild auf seiner dreckverschmierten Schulter. »Bin mir nicht sicher, was damit passiert ist, aber es sollte ein Baumfrosch auf einem Baumstumpf sein. Natürlich kann man Baumfrösche nicht gut sehen, von daher könnte es eigentlich auch ziemlich gut sein – der Fleck – da – also, ich glaube, das ist der Baumfrosch. Könnte aber auch ein Pilz sein.« Während sein Grinsen ein wahres Pferdegebiss sichtbar werden ließ, rollte er seinen Ärmel wieder hinunter und lehnte sich wieder im Sattel zurück. Plötzlich runzelte er die Stirn. »Wisst Ihr, wohin wir marschieren? Und warum haben es alle so eilig?«
»Äh …«
Das war anscheinend alles, was Grantl herausbringen konnte, daher übernahm es Itkovian zu antworten. »Das sind ganz hervorragende Fragen, mein Herr. Wir marschieren zu einer Stadt namens Maurik, wo wir uns wieder mit der malazanischen Armee vereinigen werden. Von Maurik aus werden wir weiter nach Süden vorrücken, zu einer Stadt namens Korall.«
Stroh runzelte die Stirn. »Wird es bei Maurik einen Kampf geben?«
»Nein, die Stadt ist verlassen. Es ist nur ein geeigneter Ort, um die beiden Heere erneut zu vereinigen.«
»Und Korall?«
»Nun, dort wird es wahrscheinlich eine Schlacht geben, oh ja.«
»Städte laufen nicht weg. Warum beeilen sich denn alle so?«
Itkovian seufzte. »Eine scharfsinnige Nachfrage, mein Herr, eine, die dazu zwingt, gewisse Annahmen in Frage zu stellen, die alle Betroffenen bisher vorausgesetzt hatten.«
»Was?«
»Gute Frage, hat er gesagt«, meinte Stonny gedehnt.
Der Marschall nickte. »Deshalb hab ich sie gestellt. Ich bin dafür bekannt, gute Fragen zu stellen.«
»Das sehen wir«, antwortete sie ungerührt.
»Bruth beeilt sich«, sagte Grantl, »weil er Maurik vor den Malazanern erreichen will – die schneller zu marschieren scheinen, als wir es für möglich gehalten hätten.«
»Ach so?«
»Nun, äh, das Bündnis ist in letzter Zeit ziemlich … unsicher geworden.«
»Es sind
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