SdG 05 - Der Tag des Sehers
Korbal Broach niemals wieder verlassen würde, unter dem geschwärzten Türsturz des Eingangs hindurch. Gerade als seine Schritte langsamer wurden, da sich plötzlich und unerwartet sein Selbsterhaltungstrieb meldete, sah er, dass es zu spät war.
Bauchelain stand im Hof. »Ah, mein ehemaliger Bediensteter. Wir haben uns schon gefragt, wo du wohl geblieben bist.«
Buke zog den Kopf ein. »Ich bitte um Entschuldigung, Herr. Ich habe den Behörden das verlangte Gesuch um Freistellung von den Steuern überbracht – «
»Hervorragend. Und ist unsere Argumentation wohlwollend aufgenommen worden?«
Der alte Karawanenwächter zuckte zusammen. »Die Tatsache, dass eine Belagerung ansteht, entbindet uns leider nicht von der Pflicht, die Grundsteuer zu bezahlen, Herr. Die Beträge sind fällig. Doch dank der Evakuierung ist glücklicherweise niemand mehr im Daru-Haus, um auf ihr Eintreffen zu warten.«
»Ach, ja, die Evakuierung. Tunnel. Sehr schlau. Wir haben das Angebot natürlich abgelehnt.«
»Natürlich.« Buke konnte nicht länger die Pflastersteine zu seinen Füßen anstarren, und so wurde sein Blick zu dem knappen Dutzend Urdomen-Leichen hingezogen, die blutleer und mit schwarz gefleckten Gesichtern hinter den Visieren überall im Hof herumlagen.
»Ein überstürzter Vorstoß dieser irregeleiteten Soldaten«, murmelte Bauchelain. »Korbal war überaus erfreut und trifft Vorbereitungen, sie zu rekrutieren.«
»Sie zu rekrutieren, Herr? Oh ja, Herr, ich verstehe. Sie zu rekrutieren.«
Der Nekromant neigte den Kopf leicht zur Seite. »Merkwürdig. Der liebenswerte Emancipor Reese hat vor nicht einmal einem halben Glockenschlag genau die gleichen Worte von sich gegeben, in genau dem gleichen Tonfall …«
»Das ist in der Tat merkwürdig, Herr.«
Die beiden blickten einander einen Moment lang an, dann strich sich Bauchelain über den Bart und wandte sich ab. »Die Tenescowri kommen, hast du das gewusst? Und mit ihnen die Kinder des Toten Samens. Wirklich außergewöhnlich, diese Kinder. Der Samen eines sterbenden Mannes … hmm. Es heißt, das älteste dieser Kinder befehligt jetzt die ganze Bettlerhorde. Ich bin sehr gespannt darauf, ihn kennen zu lernen.«
»Herr? Ah, wie … ich meine …«
Bauchelain lächelte. »Korbal ist schon ganz wild darauf, dieses Kind namens Anaster gründlich zu untersuchen. Wie ist die Essenz seiner Biologie? Selbst ich frage mich das.«
Die gefallenen Urdomen bewegten sich, zuckten, als wären sie ein einziges Wesen. Hände bewegten sich auf fallen gelassene Waffen zu, behelmte Köpfe hoben sich.
Buke starrte die Szenerie voller Entsetzen an.
»Ah, jetzt hast du Wächter, denen du Befehle erteilen kannst, Buke. Ich schlage vor, du stellst sie am Eingang auf. Und schickst vielleicht noch jeweils einen von ihnen zu den vier Türmen an den Ecken. Verteidiger, die niemals müde werden – das sind doch die Besten, oder?«
Emancipor Reese kam aus dem Hauptgebäude gestolpert, seine räudige Katze eng an die Brust gepresst.
Bauchelain und Buke sahen zu, wie der alte Mann zu einem der nun wieder aufrecht dastehenden Urdomen hinstürzte. Reese trat dicht an den gewaltigen Krieger heran, streckte die Hand aus und zerrte wild an dem Kettenhemd und dem darunter liegenden Wams des Untoten herum. Der alte Mann griff unter die beiden Kleidungsstücke, schob den Arm immer weiter darunter.
Emancipor fing an, mit den Zähnen zu klappern. Er zog die Hand wieder heraus, wich stolpernd ein, zwei Schritte zurück. »Aber … aber …« Sein von tiefen Falten durchzogenes, verknittertes Gesicht wandte sich Bauchelain zu. »Der andere … der andere … Korbal – er hat – er hat gesagt – ich habe es gesehen! Er hat ihre Herzen! Er hat sie zusammengenäht, eine blutige, pulsierende Masse auf dem Küchentisch! Aber – « Er wirbelte herum und schlug dem Urdomen gegen die Brust. »Da ist keine Wunde!«
Bauchelain zog eine dünne Augenbraue hoch. »Ach. Nun, da ihr beide – du und Freund Buke hier – in letzter Zeit Korbal Broachs normale nächtliche Aktivitäten behindert habt, hat mein Partner sich gezwungen gesehen, seine Vorgehensweise zu ändern – seinen modus operandi, wenn man so will. Wie ihr seht, meine Freunde, besteht für ihn jetzt keine Notwendigkeit mehr, seine Gemächer zu verlassen, um seinen Bedarf an Neuerwerbungen zu stillen. Nichtsdestotrotz möchte ich euch auffordern, dass ihr bitte mit euren unangebrachten Bemühungen aufhört.« Die ausdruckslosen grauen Augen des
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