SdG 05 - Der Tag des Sehers
Stadt brannte an mehreren Stellen, stieß Säulen aus schwarzem Rauch himmelwärts. Der Sperber betrachtete die Belagerung aus einem Blickwinkel, für den die Generäle dieser Welt gestorben wären. Er kreiste und beobachtete und kreiste.
Die Tenescowri umringten die Stadt in einem breiten, brodelnden Band. Eine Drittelmillion, vielleicht sogar mehr. Buke hatte noch nie so viele Menschen auf einem Haufen gesehen. Und das Band hatte begonnen, sich zusammenzuziehen. Eine merkwürdig farblose, sich windende Schlinge, die sich immer näher an die kläglichen, zerbröckelnden Mauern der Stadt und ihre aus dieser Höhe lächerlich wenigen Verteidiger heranschob.
Es würde keine Möglichkeit geben, den Angriff aufzuhalten. Den Angriff einer Armee, die nicht an ihrer Tapferkeit gemessen wurde, sondern an etwas weitaus Tödlicherem – etwas, dem man nichts entgegensetzen konnte: Hunger. Eine Armee, die es sich nicht leisten konnte, zurückgeschlagen zu werden, für die ein Rückzug der Tod war.
Capustan würde schon bald verschlungen werden.
Der Pannionische Seher ist tatsächlich ein Ungeheuer. Er hat eine Tyrannei des Mangels geschaffen. Und das Ganze wird sich ausbreiten. Ihn besiegen? Man müsste jeden Mann, jede Frau und jedes Kind auf dieser Welt töten, die sich dem Hunger beugen, jeden, der dem schrecklichen Grinsen des Hungertods in Gesicht sieht. Hier hat es begonnen, in Genabackis, aber das ist nur das Zentrum. Diese Flut wird sich ausbreiten. Sie wird jede Stadt infizieren, auf jedem Kontinent, sie wird Reiche und Völker von innen heraus verzehren.
Ich kann dich jetzt sehen, Seher. Aus dieser Höhe. Ich verstehe jetzt, was du bist, und was du werden wirst. Wir sind verloren. Wir alle sind wahrhaftig verloren.
Ein gewaltiges Erblühen von Magie im Osten riss ihn aus seinen Gedanken. Ein Knoten vertrauter Zauberei schwirrte um einen kleinen Teil der Tenescowri-Armee herum. Schwarze, von widerwärtig purpurnen Streifen durchzogene Wogen strömten daraus hervor, mähten die kreischenden Bettler zu Hunderten nieder. Grau streifige Magie antwortete.
Die Augen des Sperbers sahen nun die beiden Rabenvögel in der Mitte des magischen Sturms. Dämonen stürzten aus aufgerissenen Portalen auf der Ebene, richteten ein Gemetzel in der kreischenden, zurückweichenden Menge an. Zauberei schlug zurück, strömte über die Kreaturen hinweg.
Die beiden Krähen glitten hinab, näherten sich einer Gestalt, die auf einem bockenden Rotschimmel saß. Wogen aus Magie kollidierten mit einem mitternachtsschwarzen Blitz; der dröhnende Donnerschlag war noch hoch oben am Himmel zu hören, wo Buke seine Kreise zog.
Der Schnabel des Sperbers öffnete sich, und er stieß einen durchdringenden Schrei aus. Die Krähen waren zurückgeschlagen worden. Zauberei drosch auf sie ein, prügelte auf sie ein, während sie sich mit hastigen Flügelschlägen rasch zurückzogen.
Die Gestalt auf dem stampfenden Pferd war unverletzt. Umgeben von wahren Leichenbergen, auf die andere Tenescowri sich jetzt stürzten. Um zu essen.
Buke stieß erneut einen triumphierenden Schrei aus, zog die Flügel an den Körper, ließ sich der Erde entgegenfallen.
Er erreichte den Hof des Anwesens lange vor Bauchelain und Korbal Broach, sank in einer Spirale langsam herab. Seine Flügel peitschten die Luft. So schwebte er noch einen winzigen Augenblick lang, ehe er wieder menschliche Gestalt annahm.
Emancipor Reese war nirgendwo zu sehen. Die untoten Urdomen standen noch immer genauso da wie vorher.
Buke, der sich in seinem Körper schwerfällig und unbeholfen vorkam, drehte sich zu ihnen um und musterte sie. »Sechs von euch begeben sich zum Tor – du da«, er deutete mit dem Finger auf den, den er meinte, »und die genau hinter dir. Und du, du gehst zum Nordwestturm.« Er fuhr fort, den schweigenden Kriegern Anweisungen zu geben, teilte sie so ein, wie Bauchelain es vorgeschlagen hatte. Als er gerade seine letzten Befehle bellte, huschten zwei Schatten über die Pflastersteine. Die Krähen landeten im Hof. Ihre Federn waren zerzaust. Von einem der Vögel stieg Rauch auf.
Buke schaute zu, wie sie sich verwandelten; er grinste, als er zunächst Korbal Broach erblickte – seine Rüstung hing in Fetzen, und dünne Rauchfäden stiegen von ihm auf – , und dann Bauchelain, dessen blasses Gesicht auf der einen Seite eine üble Prellung aufwies, und in dessen silbernem Bart verkrustetes Blut klebte.
Korbal Broach griff nach dem Kragen seines Umhangs; seine Hände
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