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SdG 05 - Der Tag des Sehers

SdG 05 - Der Tag des Sehers

Titel: SdG 05 - Der Tag des Sehers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Erikson
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und einer Frau. Und für diese Liebe konnten alle denkbaren Opfer ertragen werden.
    Reicht es, dass das Kind meinem Fleisch entsprungen ist? Dass es so in dieser Welt angekommen ist wie alle Kinder? Ist schon allein der Schmerz der Geburt der Urquell der Liebe? Alle anderen haben das geglaubt. Sie haben das Band zwischen Mutter und Tochter als gegeben hingenommen, als natürliche Folge der Geburt an sich.
    Das hätten sie nicht tun sollen.
    Mein Kind war nicht unschuldig.
    Empfangen aus Mitleid, nicht aus Liebe; empfangen mit einem furchtbaren Ziel – den Befehl über die T’lan Imass zu übernehmen, sie in einen weiteren Krieg zu ziehen – sie zu verraten.
    Und nun war die Mhybe gefangen. Verloren in einer Traumwelt, die zu groß war, um sie zu verstehen, einer Traumwelt, in der Kräfte aufeinander prallten, von ihr forderten, dass sie handelte, dass sie … irgendetwas tat.
    Uralte Götter, tierische Geister, ein Mann, im Schmerz gefangen, in einem gebrochenen, entstellten Körper. Dieser Brustkorb vor mir – gehört er ihm? Demjenigen, mit dem ich vor so langer Zeit gesprochen habe? Demjenigen, der sich so in der Umarmung einer Mutter gewunden hat? Sind wir so etwas wie Verwandte, er und ich? Beide in verwüsteten Körpern gefangen, beide dazu verdammt, immer tiefer in diese schmerzhafte Marter zu gleiten?
    Das Tier wartet auf mich – der Mann wartet auf mich. Wir müssen uns nacheinander ausstrecken. Um uns zu berühren, um uns gegenseitig zu beweisen, dass wir nicht allein sind.
    Ist es das, was uns erwartet?
    Der Käfig aus Rippen, das Gefängnis, muss von außen zerstört werden.
    Tochter, du magst mich im Stich gelassen haben. Aber diesen Mann, diesen Bruder von mir, den werde ich nicht im Stich lassen.
    Sie konnte sich nicht ganz sicher sein, doch sie glaubte, dass sie wieder begonnen hatte, weiterzukriechen.
    Das Tier heulte in ihrem Geist, eine Stimme, die rau war vor Agonie.
    Sie würde es befreien müssen, wenn sie konnte. Das verlangte schon das Mitleid.
    Nicht die Liebe.
    Oh, jetzt sehe ich …
    So also.
     
    Er würde sie umarmen. Er würde ihren Schmerz nehmen. In dieser Welt, in der ihm alles genommen worden war, in der er ohne Ziel dahinschritt, beladen mit der Last der Leben und Tode von Zehntausenden Seelen der Sterblichen – unfähig, ihnen Frieden zu gewähren, unfähig – nicht willens –, sie einfach fallen zu lassen, war er noch nicht am Ende.
    Er würde sie umarmen. Diese T’lan Imass, die all die Macht des Teilann-Gewirrs in ein Ritual verdreht hatten, das ihre Seelen verschlungen hatte. Ein Ritual, das sie – in den Augen aller anderen – als kaum mehr zurückgelassen hatte denn als Hüllen, belebt von einem Ziel, das sie außerhalb ihrer Selbst gesetzt hatten, an das sie dennoch gefesselt waren – bis in alle Ewigkeit.
    Hüllen, doch … alles andere als das.
    Und das war eine Tatsache, die Itkovian nicht erwartet hatte, auf die er sich nicht vorbereiten konnte.
    Insharak Ulan, der als drittes Kind von Inal Thoom und Sultha A’rad vom Nashar-Clan geboren wurde, der Krons eigener Clan werden würde, im Frühling des Jahres des Verfaulten Mooses, unter dem Land des Rauen Kupfers, und ich erinnere mich an -
    Ich erinnere mich an -
    Einen Schneehasen, zitternd, nicht weiter als die Länge eines Dämmerungsschattens außerhalb meiner Reichweite, meines ausgestreckten Kinderarms und meiner Hand. Streifen im Weiß, das Versprechen des Sommers. Zitternde Hand, zitternder Hase, zusammen geboren in des Schnees Vergangenheit. Sich streckend. Leben berühren sich – kleines-Herz-klopft, große-Trommel-Hunger die Antwort meiner Brust auf die verborgene Musik der Welt – ich erinnere mich – Kalas Agkor – meine Arme um Klein-Jala geschlungen, meine kleine Schwester, heiß vom Fieber, doch das Feuer wurde zu heiß, und so kühlte ihr Körper in meinen Armen ab, bis er morgenkalt war, Mutter jammerte - Jala war nun Asche, leblos, und von jenem Tag an war ich in den Augen meiner Mutter nur noch ihr Bett aus Asche - Ulthan Arlad – Spuren von Herden im Schnee, Büschel aus Schimmel, Ay an den Flanken, wir waren hungrig in jenem Jahr, doch wir hielten uns an den Pfad, alt wie er war - Karas Av, die Knochenwerfer Thals Sohn im Tal des Tiefen Mooses geritten hat, unter der Sonne haben wir das uralte Gesetz gebrochen – habe ich das uralte Gesetz gebrochen, ich, die Gefährtin von Ibinahl Chode, habe einen Jungen zum Mann gemacht, bevor seine Kette geknotet war - im Jahr der Gebrochenen

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