SdG 05 - Der Tag des Sehers
hatte die Arme ausgebreitet -
Du kannst den Schmerz der T’lan Imass nicht umarmen. Wenn dein Gott noch bei dir wäre, hätte er deinen Gedanken zurückgewiesen. Du kannst es nicht. Es sind zu viele. Und du, du bist nichts weiter als ein Mann – allein –, du kannst ihre Last nicht tragen. Es ist unmöglich.
Herzzerreißend tapfer.
Aber unmöglich.
Ach, Itkovian …
Tapferkeit hatte sie besiegt, aber nicht ihre eigene – die niemals sehr groß gewesen war –, nein, die Tapferkeit derer um sie herum. Auf allen Seiten – Coll und Murillio mit ihrem irregeleiteten Gefühl von Ehre, die ihre Mutter gestohlen hatten und sie zweifellos auch jetzt bewachten, da sie langsam starb. Elster und die beiden Seesoldatinnen. Itkovian. Und sogar Tayschrenn, der sich selbst verletzt hatte – schlimm verletzt –, als er sein Gewirr entfesselt hatte, um Kallor zu vertreiben. Solch außerordentliche, tragisch fehlgeleitete Tapferkeit -
Ich bin Nachtfrost, eine Ältere Göttin. Ich bin Bellurdan, der Thelomen Schädelzerschmetterer. Ich bin Flickenseel, die einst eine Sterbliche war. Und ich bin Silberfuchs, eine Knochenwerferin aus Fleisch und Blut, Beschwörerin der T’lan.
Und ich bin besiegt worden.
Von Sterblichen -
Der Himmel über ihr wand sich – sie blickte auf. Ihre Augen weiteten sich ungläubig -
Der Wolf zappelte, rannte gegen die Knochenstäbe seines Käfigs – seines Käfigs … meine Rippen. Gefangen. Sterbend -
Und das ist ein Schmerz, den ich teile.
Seine Brust brannte wie Feuer, Blüten aus unerträglicher Agonie peitschten in ihn hinein, als kämen sie von irgendwo draußen, ein Sturm, der die Haut, die seine Rippen bedeckte, Blasen werfen ließ - doch es wurde nicht stärker, schien tatsächlich schwächer zu werden, als würde ihm mit jeder Verwundung auch etwas gewährt, ein Geschenk -
Ein Geschenkt Dieser Schmerz? Wie – was ist das? Was kommt da zu mir?
Alt, so unglaublich alt. Bittersüße, verlorene Augenblicke voller Staunen, voller Freude, voller Kummer – ein Sturm der Erinnerungen, nicht seine Erinnerungen – so viele, sie kamen an wie Eis, schmolzen dann im Aufflackern des Einschlags – er spürte, wie sein Körper unter der unerbittlichen Sintflut taub wurde - wurde plötzlich weggezerrt -
Er blinzelte in der Dunkelheit, sein eines Auge so blind wie das andere – jenes, das er vor Fahl verloren hatte. Etwas hämmerte gegen seine Ohren … ein Geräusch. Ein Kreischen, das Boden und Wände erzittern ließ; Ketten rasselten, Staub rieselte von der niedrigen Decke. Ich bin hier nicht allein. Wer? Was?
Klauen kratzten dicht neben seinem Kopf über die Steinfliesen, wild, sehnsüchtig.
Sie greifen nach mir. Es will mich. Was tut es? Was bin ich für es?
Die Erschütterungen kamen näher. Und neue Stimmen, verzweifeltes Gebrüll, das von der anderen Seite der Wände kam … vielleicht in einem Korridor. Waffengeklirr, Schreie, Gurgeln, das Rasseln von Rüstungen – Stücke, die auf dem Boden tanzten.
Toc bewegte den Kopf – und sah etwas in der Dunkelheit. Riesig, zerrend, während es ohne Unterlass kreischte. Gewaltige, krallenbewehrte Hände reckten sich flehentlich – streckten sich aus -
Nach mir.
Graues Licht blitzte in der Höhle auf, machte binnen eines Augenblicks das monströse, von Speckschichten umgebene Reptil sichtbar, das gegenüber von Toc angekettet war und in dessen Augen Entsetzen leuchtete. Innerhalb der Reichweite der Kreatur waren die Steine überall von unzähligen Schrammen und Rissen übersät, ein schraffierter Albtraum des Wahnsinns, der Grauen in dem Malazaner aufsteigen ließ … denn es war ein Albtraum, den er auch in seinem Innern erkannte.
Sie – sie ist meine Seele -
Der Seher stand vor ihm, bewegte sich in verzweifelten, ruckartigen Zuckungen – der Körper des alten Mannes, den der Jaghut so lange in Besitz genommen hatte, zerfiel – und murmelte einen Singsang, während er sich, ohne auf Toc zu achten, immer näher an die Matrone heranschob, an Mutter.
Das riesige Wesen krümmte sich, die Klauen kratzten über den Boden, als es sich gegen die Wand drückte. Seine schrillen Schreie hörten nicht auf, hallten in der Höhle wider.
Der Seher hielt etwas in den Händen, es war farblos, glatt und länglich – ein Ei, aber kein Vogelei. Das Ei einer Echse, eingesponnen in graue Magie.
Magie, die mit jedem Wort, das der Seher sang, zunahm.
Toc sah zu, wie etwas aus dem Körper der Matrone barst, ein Aufblitzen der Macht, das nach
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