SdG 05 - Der Tag des Sehers
»Hinterher!« Sie trieb ihrem Pferd die Fersen in die Flanken.
Und so waren sie geritten, hart geritten.
Sie waren an Bruths Lager vorbeigekommen, hatten bemerkt, dass es mit beträchtlicher Hast erwachte, obwohl die Morgendämmerung noch mindestens einen Glockenschlag entfernt war.
Sie waren Zeugen geworden, wie Zauberei am Himmel im Südwesten aufgeblitzt und aufgeflackert war, ohne darüber ein Wort zu wechseln.
Gelegentlich konnten sie in der Dunkelheit einen Blick auf die gewaltige Kreatur erhaschen, die sie verfolgten, das gedämpfte Flackern von schwarz gestreiftem Gelb, das sich bewegte wie durch unmöglich hohes Gras, wie unter Farnwedeln im Dschungel, in Schatten gehüllt, in fließenden Bewegungen, tödlich in seiner Geschwindigkeit und seinem Schweigen.
Dann wurde der Himmel heller, und im Süden war der Horizont zu erkennen – kleine Baumgruppen, die Handelsstraße, die sich zwischen ihnen hindurchwand.
Noch immer ließ sich die gestreifte Bestie mit den Augen kaum erfassen, entzog sich jedem scharfen Blick, als sie die Hügel der Parklandschaft erreichte.
Schweißgebadet, mit schäumenden Nüstern, preschten die Pferde weiter, die Hufe dröhnten schwer und holprig. Keines der beiden Tiere würde sich von diesem Martyrium jemals wieder erholen. Tatsächlich warteten sie mit ihrem Tod nur auf das Ende dieser Reise.
Tapfer und großartig, und er fragte sich, ob das Ganze dieses Opfer wert war.
Sie ritten auf einem Pfad zwischen kleinen Gehölzen, der langsam anstieg und auf etwas zuführte, das Itkovian für eine Art Steilabbruch hielt.
Dann, genau vor ihnen, Wagen. Ein paar Gestalten, die sich umdrehten und zusahen, wie sie näher kamen.
Falls sie die Kreatur gesehen hatten, so zeigten sie es nicht – es waren keine Alarmrufe zu hören gewesen, alles schien ruhig.
Itkovian und Stonny ritten an der malazanischen Nachhut vorbei.
Ein Knistern von Zauberei – ganz nah.
Soldaten standen auf dem Kamm vor ihnen, eine aufgereihte Armee, die nach Süden blickte – und die sich jetzt in ungeordnete Bewegung auflöste. Entsetzen brach mit fühlbarer Gewalt über Itkovian herein, eine Flut rohen Schmerzes, unermesslichen Verlusts.
Er wankte im Sattel, zwang sich, sich wieder aufzurichten. Ein Drängen donnerte durch ihn hindurch, jetzt, plötzlich, überwältigend.
Stonny rief irgendetwas, lenkte ihr stolperndes Pferd nach rechts und verließ die Straße, näherte sich einer Hügelkuppe, auf der die malazanische Standarte schlaff in der windstillen Luft hing. Itkovian folgte ihr, aber langsamer, zurückhaltend. Seine Seele ertrank in kaltem Entsetzen.
Sein Pferd gab den Galopp auf, taumelte, reckte den Kopf vor. Aus dem leichten Galopp wurde ein schwankender, haltloser Schritt, dann blieb es zwanzig Schritt vom Fuß des Hügels entfernt breitbeinig stehen.
Sterbend.
Betäubt schlüpfte Itkovian aus den Steigbügeln, hob ein schmerzendes Bein über die Kruppe des Tieres und ließ sich zu Boden gleiten.
Auf dem Hügel zu seiner Rechten sah er Stonny, die sich von ihrem gestürzten Pferd löste – der Hang war zu viel für das Tier gewesen – und weiterkletterte. Grantl und seine Truppe waren bereits angekommen, wieder in Menschengestalt; sie drängten sich auf dem Hügel, schienen aber nichts zu tun.
Itkovian wandte den Blick ab, begann am Rand der Straße entlangzugehen, die hier, auf dem letzten Stück den Hügel hinunter und auf den Todesstreifen und die dahinter liegende Stadt zu, ganz gerade verlief.
Kaltes Entsetzen.
Sein Gott war fort. Sein Gott konnte es nicht ablenken, so wie er es einst, vor Monaten, auf einer Ebene westlich von Capustan getan hatte.
Verlust und Kummer in einer Intensität, wie er es nie zuvor gespürt hatte.
Die Wahrheit. Die ich gekannt habe. Tief in meinem Innern. Verborgen, doch jetzt enthüllt. Ich bin noch nicht am Ende.
Noch nicht am Ende.
Er ging weiter, nahm die Soldaten zu seiner Rechten und Linken nicht wahr, trat aus der ungleichmäßigen Linie heraus, ließ die Armee hinter sich, die nun dastand, die Waffen gesenkt, gebrochen, schon bevor die Schlacht begonnen hatte – gebrochen durch den Tod eines Mannes.
Itkovian war dem allem gegenüber blind. Er erreichte den Hang, ging weiter.
Hinunter.
Hinunter, wo die T’lan Imass in Reihen vor achthundert K’Chain Che’Malle warteten.
Die T’lan Imass, die sich jetzt alle langsam umdrehten.
Gewirre flackerten auf der Hügelkuppe.
Brüllend befahl Grantl seinen Anhängern, am südlichen Hang
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