SdG 05 - Der Tag des Sehers
drüben das einzige, das so … gefüllt ist?«
»Wir haben zumindest kein anderes gesehen, obwohl wir an einem Anwesen vorbeigekommen sind, das ebenfalls noch gehalten wurde – dort haben belebte Leichname am Tor und auf den Mauern Wache gestanden. Die Luft hat nach Zauberei gestunken, nach den fauligen Ausdünstungen von Nekromantie. Ich sage dir, Soldat, wir werden froh sein, wenn wir diese Stadt wieder verlassen können.«
Itkovian schwieg. Er fühlte sich innerlich zerrissen. Feners Traum verkündete die Wahrheit des Krieges. Er sprach die Wahrheit über die Grausamkeit, die die Menschheit ihresgleichen antun konnte. Krieg war für diejenigen, die andere führten, wie ein Spiel, das in einer trügerischen Arena ruhiger Vernunft gespielt wurde. Solche Lügen konnten jedoch die Realität nicht überleben, und die Realität schien keine Grenzen zu kennen. Der Traum enthielt eine Bitte um Mäßigung und bestand darauf, dass der gewonnene Ruhm kein blinder war, sondern aus ernster, klarsichtiger Rücksicht entstand. Inmitten der grenzenlosen Realität lag das Versprechen der Erlösung.
Diese Sichtweise ließ Itkovian nun im Stich. Er schreckte zurück wie ein Tier im Käfig, das von allen Seiten grausam aufgestachelt wird. Die Flucht wurde ihm verwehrt, doch das war selbst auferlegt, war aus seinem bewussten Willen geboren, dem er mit den Worten seines Schwurs Form verliehen hatte. Er musste diese Bürde annehmen, was immer es ihn kosten würde. Die Feuer der Rache hatten in seinem Innern eine Wandlung erfahren. Er würde schließlich die Erlösung sein – für die Seelen der Gefallenen in dieser Stadt.
Erlösung. Für alle anderen, aber nicht für sich selbst. Denn um selbst erlöst zu werden, konnte er sich nur an seinen Gott wenden. Aber, teurer Fener, was ist geschehen? Wo bist du? Ich knie vor dir, wie es sich gehört, und erwarte deine Berührung. Aber du bist nirgends zu finden. Deine Sphäre … sie fühlt sich … leer an.
Wohin kann ich jetzt gehen?
Sicher, ich bin noch nicht am Ende. Das nehme ich hin. Aber wann werde ich es sein? Wer erwartet mich? Wer wird mich in die Arme schließen? Ein Schauer durchlief ihn.
Wer wird mich in die Arme schließen?
Der Schild-Amboss schob diese Frage beiseite, mühte sich, seine Entschlossenheit wiederzuerlangen. Schließlich hatte er gar keine andere Wahl. Er würde Feners Kummer sein. Und die Hand, die der Gerechtigkeit seines Lords Geltung verschaffte. Diese Art Verantwortung war ihm nicht willkommen, und er spürte, welchen Tribut er würde entrichten müssen.
Sie näherten sich dem Platz vor dem Knecht. Weitere Barghast waren zu sehen, strömten auf das gleiche Ziel zu. Die fernen Kampfgeräusche vom Jelarkan-Platz, die sie fast den ganzen Nachmittag begleitet hatten, waren nun verstummt. Der Feind war aus der Stadt vertrieben worden.
Itkovian glaubte nicht, dass die Barghast ihn verfolgen würden. Sie hatten erreicht, weswegen sie hierher gekommen waren. Die Bedrohung der Gebeine ihrer Götter durch die Pannionier war beseitigt worden.
Vermutlich würde Septarch Kulpath – falls er noch am Leben war – seine versprengten Streitkräfte neu formieren, die Disziplin wieder herstellen und sich auf den nächsten Zug vorbereiten. Entweder einen Gegenangriff oder einen Rückzug nach Westen. Beides barg Risiken. Es könnte sein, dass seine Streitmacht nicht mehr groß genug war, um die Stadt zurückzuerobern. Und seiner Armee, die ihre Lager verloren hatte und von ihren Nachschublinien abgeschnitten war, würden schon bald die Vorräte ausgehen. Das war keine beneidenswerte Position. Capustan, eine kleine, unwichtige Stadt an der Ostküste von Zentralgenabackis, war zu einem vielfältigen Fluch geworden. Und die Toten, die in diesem Kampf gestorben waren, standen nur für den Beginn des bevorstehenden Krieges.
Sie traten auf den großen Platz hinaus.
Die Stelle, an der Brukhalian gefallen war, lag direkt vor ihnen, aber alle Leichen waren weggeschafft worden – sie waren zweifellos von den sich zurückziehenden Pannioniern mitgenommen worden. Fleisch für ein weiteres Festmahl. Es spielt keine Rolle. Der Vermummte ist zu ihm gekommen. Persönlich. War das ein Zeichen der Ehrerbietung, oder einfach nur kleinliche Schadenfreude seitens des Gottes?
Der Blick des Schild-Amboss ruhte noch einen Augenblick auf dem Streifen blutbefleckter Pflastersteine, glitt dann zum Haupttor des Knechts hinüber.
Der magische Schimmer war verschwunden. In den Schatten unter
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