SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
seiner Handlanger – persönlich hier auftauchte, um die Seele dieses Mannes mitzunehmen.
Apsalar trauerte leise; ihr Weinen war unter dem Rauschen der Wellen am Strand und dem schwachen Pfeifen des Windes durch die verbogenen Bretter der Hüttenwände kaum zu hören. Sie kniete mit gesenktem Kopf da, das Gesicht hinter ihren langen schwarzen Haaren verborgen, die wie ein Schal herunterhingen. Ihre Hände waren um die Rechte ihres Vaters geschlossen.
Crokus machte keine Anstalten, zu ihr zu gehen. In den Monaten, in denen sie gemeinsam unterwegs gewesen waren, war sie ihm seltsamerweise immer fremder geworden. Ihre Seele war für ihn unergründlich geworden, und was auch immer in ihrem tiefsten Innern verborgen lag, war jenseitig und … nicht ganz menschlich.
Der Gott, der von ihr Besitz ergriffen hatte – Cotillion, das Seil, der Patron der Assassinen im Haus Schatten –, war einst ein Sterblicher gewesen. Ein Mann, der unter dem Namen Tanzer bekannt gewesen war und an der Seite des Imperators gestanden hatte und der durch Laseens Machenschaften angeblich das gleiche Schicksal wie Kellanved erlitten hatte. Natürlich war keiner der beiden wirklich gestorben. Stattdessen waren sie aufgestiegen. Crokus hatte nicht die geringste Ahnung, wie so etwas möglich war. Das Aufsteigen war nur eines der zahllosen Mysterien dieser Welt, einer Welt, deren Regeln unergründlich waren, deren Unsicherheit Götter und Sterbliche gleichermaßen unterworfen waren. Aber ihm kam es so vor, als bedeutete aufzusteigen auch, sich zu ergeben. Das zu umarmen, was man wohl im Grunde Unsterblichkeit nennen konnte, kündigte sich – wie er zu glauben anfing – mit einem Sich-Abwenden an. War es nicht das Schicksal eines Sterblichen – Schicksal war das falsche Wort, wie er wusste, aber ihm fiel kein anderes ein –, war es dann also nicht das Schicksal eines Sterblichen, das Leben selbst zu umarmen, so wie man eine Geliebte umarmte? Das Leben mit all seiner mühevollen, flüchtigen Zerbrechlichkeit.
Und konnte man das Leben nicht als die erste Geliebte eines Sterblichen – oder den ersten Geliebten einer Sterblichen – bezeichnen? Eine Geliebte, deren Umarmung dann – im glühenden Tiegel des Aufsteigens – zurückgewiesen wurde?
Crokus fragte sich, wie weit sie diesen Pfad schon geschritten war – denn sie befand sich zweifellos auf diesem Pfad, diese schöne Frau, die nicht älter war als er selbst und sich mit beängstigender Lautlosigkeit bewegen konnte, mit der schrecklichen Anmut eines Wesens, das das Töten zur Perfektion gebracht hatte, eine Verführerin des Todes.
Je verschlossener sie wurde, desto mehr fühlte Crokus sich zu ihr, zu jenen seltsamen Ecken und Kanten in ihr, hingezogen. Die Verlockung, sich in jene Dunkelheit zu stürzen, war manchmal überwältigend, konnte als plötzlicher Gedanke seinen Herzschlag zum Rasen bringen, das Blut heiß durch seine Adern strömen lassen. Was die stumme Einladung für ihn so Furcht erregend machte, war die scheinbare Gleichgültigkeit, mit der sie sie ihm darbot.
Als ob die Anziehungskraft an sich … selbstverständlich wäre. Nicht einmal wert, sie zuzugeben. Wollte Apsalar, dass er an ihrer Seite auf diesem Pfad zum Aufsteigen dahinschritt – wenn es das war, was es war? Wollte sie Crokus, oder wollte sie einfach nur … irgendjemanden?
Die Wahrheit war: er fürchtete sich allmählich, ihr in die Augen zu blicken.
Er stand auf und begab sich leise nach draußen. Bei den Untiefen waren Fischerboote – pralle weiße Segel, die wie Haifischflossen das Meer jenseits der Brandung durchpflügten. Die Hunde hatten sich einst in diesem Gebiet entlang der Küste ausgetobt, hatten nichts als Leichen zurückgelassen, doch die Menschen waren zurückgekehrt – dorthin, wenn auch nicht hierhin. Vielleicht waren sie aber auch gezwungen worden, zurückzukehren. Das Land selbst hatte keine Schwierigkeiten damit, vergossenes Blut aufzusaugen; es hatte einen blinden Durst, wie es die Natur eines jeden Landes war.
Crokus kauerte sich hin und hob eine Hand voll weißen Sand auf. Er betrachtete die winzigen Korallenstückchen, die zwischen seinen Fingern hindurchglitten. Das Land arbeitet an seinem eigenen Tod. Und doch könnten wir dem entfliehen, wenn wir auf diesem Pfad weitergingen. Ich frage mich, ob die Wurzeln des Aufsteigens in der Furcht vor dem Tod liegen?
Wenn dem so war, würde er es niemals schaffen, denn irgendwann, bei all dem, was Crokus erlebt hatte, was er überlebt
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