SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
hatte, bis er an diesen Ort gekommen war, hatte er diese Furcht verloren.
Er setzte sich hin, lehnte den Rücken gegen den Stamm einer gewaltigen Zeder, die mit Wurzeln und allem Drum und Dran an den Strand geschleudert worden war, und zog seine Messer. Er übte eine schnelle Abfolge von Griffen, wobei jede Hand die Grifffolge der anderen rückwärts wiederholte, und starrte nach unten, bis die Waffen – und seine Finger – nur noch verschwommen zu sehen waren. Dann hob er den Kopf und blickte aufs Meer hinaus, auf die rollenden Brecher in der Ferne, die dreieckigen Segel, die jenseits der weißen Linie aus Schaum dahinglitten. Er führte mit der rechten Hand eine zufällige Abfolge von Griffen aus. Dann tat er das Gleiche mit der Linken.
Dreißig Schritt den Strand hinunter wartete ihr einmastiges Boot; das purpurfarbene Segel war gerefft, die blaue, goldene und rote Farbe des Rumpfs nur noch schwache Flecken im Sonnenlicht. Ein Boot der Korelri, mit dem jemand seine Schulden bei einem örtlichen Buchmacher in Kan getilgt hatte – denn Schattenthron hatte sie in ein Gässchen in Kan geschickt, nicht auf die Straße oberhalb des Dorfes, wie er versprochen hatte.
Der Buchmacher hatte seinerseits Apsalar und Crokus mit dem Boot bezahlt – für die Arbeit einer einzigen Nacht, die für Crokus ungeheuer entsetzlich gewesen war. Es war eine Sache, Messerstöße zu üben, den tödlichen Tanz gegen Geister zu meistern, die man sich nur vorstellte, doch in jener Nacht hatte er zwei Männer getötet. Sicher, es waren Mörder gewesen, die in den Diensten eines Mannes gestanden hatten, der seine Laufbahn auf Erpressung und Gewalt aufgebaut hatte. Apsalar schien keine Gewissensbisse gehabt zu haben, als sie ihm die Kehle durchgeschnitten hatte, und sie hatte auch keinerlei Schwäche gezeigt, als ihr das Blut auf die behandschuhten Hände und die Unterarme gespritzt war.
Ein Einheimischer war bei ihnen gewesen, um zu bezeugen, dass sie ihren Auftrag auch tatsächlich ausgeführt hatten. Hinterher, nachdem er im Türrahmen gestanden und auf die drei Leichen hinuntergestarrt hatte, hatte er den Kopf gehoben und Crokus in die Augen geblickt. Was immer er in ihnen gesehen hatte, hatte ihn totenbleich werden lassen.
Am Morgen hatte Crokus einen neuen Namen gehabt. Schlitzer.
Anfangs hatte er ihn abgelehnt. Der Einheimische hatte das, was er in jener Nacht in den Augen des Daru gesehen hatte, falsch verstanden. Da war nichts Wildes gewesen. Nur eine durch den Schock entstandene Barriere, die schnell unter Selbstvorwürfen zusammengebrochen war. Mörder zu ermorden war immer noch Mord, und die Tat schien sie alle aneinander zu fesseln, als würden sie sich alle in eine endlose Schlange einreihen – ein Mörder hinter dem anderen, eine Prozession, aus der es kein Entrinnen gab. Er war vor dem Namen zurückgeschaudert, war vor all dem zurückgeschaudert, was er bedeutete.
Doch seine Rechtschaffenheit hatte sich als kurzlebig erwiesen. Die beiden Mörder waren in der Tat gestorben – durch die Hand eines Mannes namens Schlitzer. Nicht durch Crokus, den jungen Daru, den Taschendieb – der war verschwunden. Er war verschwunden und würde wahrscheinlich nie wieder zum Vorschein kommen.
Die Selbsttäuschung verschaffte ihm einen gewissen Trost, der in seinem Kern so abgründig war wie Apsalars nächtliche Umarmungen, jedoch genauso willkommen.
Schlitzer würde ihrem Pfad folgen.
Klar, der Imperator hatte Tanzer, stimmt’s? Einen Kameraden, denn ein Kamerad war genau das, was man brauchte. Was man braucht. Nun, sie hat jetzt Schlitzer. Schlitzer mit den Messern, der in seinen Ketten tanzt, als wären sie gewichtslose Fäden. Schlitzer, der im Gegensatz zum armen Crokus weiß, wo sein Platz ist, der seine einzige Aufgabe kennt – ihr den Rücken zu decken, es ihr in der kalten Präzision bei der Ausübung der tödlichen Künste gleichzutun.
Und das war die letzte, die entscheidende Wahrheit. Jeder konnte zum Mörder werden. Wirklich jeder.
Sie trat aus der Hütte. Sie war blass, doch sie weinte nicht mehr.
Er schob seine Messer in einer einzigen, fließenden Bewegung zurück in die Scheiden, stand auf und wandte sich ihr zu.
»Ja«, sagte sie. »Und was jetzt?«
Zerbrochene Säulen aus aufgemauerten Steinen erhoben sich aus der wogenden Landschaft. Von dem halben Dutzend, das ungefähr in Sichtweite war, waren nur zwei etwa mannshoch, und keine von ihnen war gerade. Das fremdartige, farblose Gras dieser Ebene wuchs in
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