SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
Abtrünnigen aus den Städten, Halsabschneidern und befreiten Verbrechern aus zahllosen malazanischen Garnisonsgefängnissen. Jene, die der Armee folgten, waren ähnlich verschieden, ein bizarrer, unabhängiger Stamm, der nomadenhaft durch die Behelfsstadt zu wandern schien und sich auf Geheiß undurchschaubarer, wunderlicher Einfälle bewegte, die zweifellos politischer Natur waren. Im Augenblick ließ eine unsichtbare Niederlage sie noch verstohlener als üblich erscheinen – alte Huren, die Dutzende von zumeist nackten, dürren Kindern führten, Waffenschmiede und Geschirrmacher und Köche und Latrinenbauer, Witwen und Ehefrauen und ein paar wenige Ehemänner und noch weniger Väter und Mütter … Die meisten von ihnen standen irgendwie in Verbindung zu den Kriegern in Sha’iks Armee, doch die Verbindung war im besten Fall lose, ließ sich leicht durchtrennen und war häufig mit einem Durcheinander aus Ehebruch und unehelichen Kindern verwoben.
Die Stadt war, nach Heborics Meinung, eine verkleinerte Ausgabe des Reichs der Sieben Städte. Ein Beweis für all die Übel, die zu kurieren das malazanische Imperium ausgezogen war – erst als Eroberer, dann als Besatzer. Den Freiheiten, die der ehemalige Priester hier hatte beobachten können, standen nur wenige Tugenden gegenüber. Doch er hatte den Verdacht, dass er mit diesen ketzerischen Gedanken ziemlich allein stand. Das Imperium hat mich als Verbrecher verurteilt, und doch bleibe ich ein Malazaner. Ein Kind des Imperiums, ein wiedererwachter Verfechter der Theorie vom »Frieden durch das Schwert« des alten Imperators. Deshalb, teure Tavore, führe deine Armee ins Herz dieser Rebellion und schneide es heraus. Ich werde den Verlust nicht beweinen.
Verglichen mit den von Leben wimmelnden Straßen, durch die die beiden gerade gegangen waren, wirkte der Tempelring ziemlich verlassen. Das Heim alter Götter und vergessener Gottheiten, die einst von einem vergessenen Volk verehrt worden waren, von dem außer zerfallenden Ruinen und Pfaden, die knöcheltief mit staubigen Tonscherben gepflastert waren, wenig übrig geblieben war. Doch für einige Menschen schien etwas von der alten Heiligkeit hier immer noch nachzuklingen, denn an diesem Ort fanden die Ältesten und Schwächsten der Verlorenen eine armselige Zuflucht.
Ein paar geringere Heiler bewegten sich zwischen diesen wenigen Not Leidenden – den alten Witwen, die keine Zuflucht als dritte oder gar vierte Frau bei einem Krieger oder Kaufmann gefunden hatten, Kämpfern, die Gliedmaßen verloren hatten, Leprakranken und Opfern anderer Krankheiten, die sich die heilenden Kräfte von Hoch-Denul nicht leisten konnten. Einst waren auch verlassene Kinder bei diesen Männern und Frauen gewesen, doch Sha’ik hatte dem ein Ende gemacht. Angefangen mit Felisin, hatte sie sie alle adoptiert – ihre persönliche Gefolgschaft, die Akolythen des Wirbelwind-Kults. Bei Heborics letzter oberflächlicher Schätzung vor einer Woche waren es mehr als dreitausend gewesen, deren Alter von ganz klein und gerade entwöhnt bis zu dem von Felisin reichte – das nah an Sha’iks eigenem, wahren Alter lag. Für sie alle war sie die Mutter.
Diese Geste war nicht gerade auf allgemeine Zustimmung gestoßen. Die Zuhälter hatten ihre Lämmchen verloren.
Im Zentrum des Tempelrings gab es eine breite, achteckige Grube, die tief in den geschichteten Kalkstein reichte und deren Boden niemals von der Sonne berührt wurde. Sie war von ihren ehemaligen Bewohnern – Schlangen, Skorpionen und Spinnen – befreit worden und hatte dann in Leoman von den Dreschflegeln einen neuen Bewohner bekommen. Leoman, einst der vertrauteste Leibwächter der Älteren Sha’ik. Aber die Wiedergeborene Sha’ik hatte die Seele des Mannes bis in ihre tiefsten Tiefen ergründet und sie leer gefunden, ohne Glaube, durch einen Fehler der Natur stets geneigt, jede Art von Gewissheit zu bestreiten. Die neue Erwählte hatte entschieden, dass sie diesem Mann nicht trauen konnte – wenigstens nicht an ihrer Seite. Er war Mathok unterstellt worden, obwohl es schien, als würde diese Position wenig Verantwortung mit sich bringen. Und obwohl Toblakai Sha’iks persönlicher Leibwächter geblieben war, hatte der Riese mit der zerschmetterten Tätowierung im Gesicht seine Freundschaft mit Leoman nicht aufgegeben und befand sich oft in der Gesellschaft des verbitterten Mannes.
Die beiden Krieger teilten eine Geschichte, von der Heboric nur einen Bruchteil erspüren konnte,
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