SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
Eine Niederlage, die an Karsa genagt hatte. Doch sich selbst konnte er nichts vormachen, indem er sich einredete, dass die neue Erwählte mehr war als ein unglückliches Opfer, das die verrückte Göttin des Wirbelwinds sich einfach irgendwo in der Wüste gepflückt hatte – ein sterbliches Werkzeug, das mit erbarmungsloser Brutalität eingesetzt werden würde. Dass sie selbst ganz offensichtlich bereitwillig an ihrer unmittelbar bevorstehenden Vernichtung mitarbeitete, war in Karsas Augen ebenso erbärmlich. Offensichtlich hatte die narbige junge Frau ihre eigenen Gründe, und sie schien begierig auf die Macht zu sein.
Führe uns, Kriegsführer.
Die Worte hallten wie bitteres Lachen in seinen Gedanken wider, während er durch den Hain wanderte – die Stadt lag beinahe eine Länge im Osten, und der Ort, an dem er sich jetzt befand, war der klägliche Überrest des Außenbezirks einer anderen Stadt. Kriegsführer brauchten solche Kräfte, die, um sie herum aufgereiht, bereit waren, ohne nachzudenken, aber umso zielstrebiger, eine Illusion verzweifelt zu verteidigen. Die Erwählte war Toblakai ähnlicher, als sie sich vorstellen konnte, oder besser gesagt, einem jüngeren Toblakai, einem Teblor, der Schlächter befehligt hatte – eine Zwei-Mann-Armee, mit der er ein Massaker hatte veranstalten wollen.
Die Altere Sha’ik war ganz anders gewesen. Sie hatte eine Menge durchgemacht, war von den Visisonen der Apokalypse heimgesucht worden, die immer weiter an ihren Knochen gezerrt und gezogen hatten wie an mit Schnüren befestigten Stöcken. Und sie hatte Wahrheiten in Karsas Seele gesehen, hatte ihn vor dem Entsetzlichen gewarnt, das noch kommen würde – nicht in exakten Vorhersagen, denn wie alle Seher war sie mit dem Fluch der Vieldeutigkeit belegt gewesen, aber doch ausreichend, um in Karsa eine gewisse … Wachsamkeit zu wecken.
Und es schien, als würde er in diesen Tagen kaum etwas anderes tun als wachsam sein. Während der Wahnsinn, der die Seele der Göttin des Wirbelwinds war, wie Gift ins Blut der Anführer der Rebellion sickerte und sie infizierte. Die Rebellion … oh, in diesem Begriff lag tatsächlich eine Menge Wahrheit. Doch der Feind war nicht das malazanische Imperium. Es ist die geistige Gesundheit an sich, gegen die sie rebellieren. Ordnung. Ehrenhaftes Verhalten. »Die Grundregeln des Zusammenlebens«, wie Leoman sie genannt hatte, während sein Bewusstsein schon im dunklen Rauch des Durhang versank. Oh, ja, ich könnte seine Flucht gut verstehen, wenn ich denn glauben würde, was er uns allen vormacht – die treibenden Rauchschwaden in seiner Grube, den schläfrigen Blick seiner Augen, die verwaschene Sprache … aber, ach Leoman, ich habe nie gesehen, dass du die Droge tatsächlich genommen hättest. Nur ihre offensichtlichen Nachwirkungen, die überall herumliegenden Beweise und dein Wegdämmern, das passenderweise immer dann eintritt, wenn du ein Gespräch beenden willst …
Leoman wartete, so vermutete Karsa, genau wie er auf den richtigen Augenblick.
Die Raraku wartete mit ihnen. Vielleicht auch auf sie . Die Heilige Wüste besaß eine besondere Gabe, doch es war eine Gabe, die nur wenige jemals erkannt, geschweige denn angenommen hatten. Eine Gabe, die sich ungesehen nähern würde, anfangs unbemerkt, eine Gabe, die zu alt war, um sie in Worte zu fassen, zu formlos, um sie mit den Händen zu packen, wie man ein Schwert packte.
Toblakai, einst ein Krieger im bewaldeten Gebirge, hatte begonnen, diese Wüste zu lieben. Die unzähligen Schattierungen aus Feuer, die auf Stein und Sand gemalt wurden, die Pflanzen mit ihren bitteren Nadeln und die zahllosen Kreaturen, die krochen, sich schlängelten, hüpften oder auf lautlosen Schwingen durch die Nachtluft glitten. Er liebte die hungrige Wildheit dieser Kreaturen, und ihr Tanz als Beute und Jäger war ein sich ewig wiederholender Kreislauf, der sich in den Sand und die Felsen eingegraben hatte. Und im Gegenzug hatte die Wüste Karsa neu geformt, hatte seine Haut dunkel, seine Muskeln schlank und straff und seine Augen zu Schlitzen werden lassen.
Leoman hatte ihm viel von diesem Ort erzählt, Geheimnisse, die nur ein echter Einwohner kennen konnte. Der Ring aus Ruinenstädten, die früher einmal Häfen gewesen waren, die alten Strandkämme mit ihren natürlichen Hügelgräbern, die sich Meile um Meile erstreckten. Muscheln, so hart wie Stein, die leise und klagend im Wind sangen – Leoman hatte ihm ein paar geschenkt, oder vielmehr eine
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