SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
trat.
Zwei große Jutesäcke rahmten den Soldaten ein. Der zu seiner Rechten war bis zum Bersten gefüllt, der andere etwa zu einem Drittel. Der Bursche selbst saß vornübergebeugt da; er hatte eine kleine Kupferahle in der Hand, mit der er ein Loch in einen Fingerknochen bohrte.
Die Säcke enthielten Hunderte solcher Knochen, wie Lostara jetzt erkannte.
»Pella.«
Der junge Mann blickte auf. Er blinzelte. »Kenne ich Euch?«
»Nein. Aber wir haben vielleicht gemeinsame Bekannte.«
»Oh.« Er nahm seine Arbeit wieder auf.
»Du warst Wächter in den Minen – «
»Das stimmt nicht ganz«, erwiderte er, ohne aufzublicken. »Ich war in der Garnison von einer der Siedlungen. Schädelmulde. Aber dann ist die Rebellion ausgebrochen. Fünfzehn von uns haben die erste Nacht überlebt – aber kein einziger Offizier. Wir haben uns von der Straße fern gehalten und es schließlich nach Dosin Pali geschafft. Das hat vier Tage gedauert, und die ersten drei davon konnten wir die Stadt brennen sehen. War nicht mehr viel übrig, als wir angekommen sind. Ungefähr zur gleichen Zeit wie wir ist ein malazanisches Handelsschiff aufgetaucht und hat uns schließlich hierher, nach Aren, gebracht.«
»Schädelmulde«, sagte Lostara. »Da hat es eine Gefangene gegeben, ein junges Mädchen.«
»Ihr meint Felisin, Tavores Schwester.«
Die Worte verschlugen ihr den Atem.
»Ich habe mich schon gefragt, wann es wohl jemand rausfinden würde. Stehe ich jetzt unter Arrest?« Er blickte auf.
»Nein. Warum? Glaubst du, du hättest es verdient?«
Er machte sich wieder an seine Arbeit. »Vermutlich. Schließlich habe ich ihnen geholfen zu fliehen. In der Nacht des Aufstands. Hab’ allerdings keine Ahnung, ob sie es geschafft haben. Ich hab’ ihnen Vorräte beschafft, so viel ich finden konnte. Sie wollten erst nach Norden und sich dann nach Westen durchschlagen … quer durch die Wüste. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich nicht der Einzige war, der ihnen geholfen hat, aber ich habe nie rausgefunden, wer die anderen waren.«
Lostara ging langsam in die Hocke, bis ihre Augen auf gleicher Höhe mit denen des Soldaten waren. »Dann war Felisin also nicht allein. Wer war bei ihr?«
»Baudin – der Kerl konnte einem einen verdammten Schrecken einjagen, aber Felisin gegenüber war er merkwürdig loyal. Allerdings …« Er hob den Kopf und blickte sie an. »Nun, sie war nicht der Typ, der Loyalität belohnt, wenn Ihr versteht, was ich meine. Wie auch immer. Baudin und Heboric.«
»Heboric? Wer ist das?«
»Ein ehemaliger Fener-Priester – von Kopf bis Fuß mit dem Fell des Ebers tätowiert. Er hatte keine Hände – die waren ihm abgeschlagen worden. Wie auch immer, die drei waren’s.«
»Durch die Wüste«, murmelte Lostara. »Aber an der Westküste der Insel gibt es … nichts.«
»Nun, dann haben sie wohl damit gerechnet, dass ein Boot kommt, oder? Schließlich war ja alles geplant, stimmt’s? Wie auch immer, bis hier kann ich die Geschichte erzählen. Was den Rest angeht, fragt meinen Sergeanten. Oder Stürmisch. Oder Wahr.«
»Wahr? Wer ist das?«
»Das ist der Bursche, der gerade hinter Euch im Türrahmen aufgetaucht ist … er kommt, um noch mehr Knochen zu bringen.« Pella hob die Stimme. »Es gibt keinen Grund, da hinten stehen zu bleiben, Wahr. Genauer gesagt, will dir diese schöne Frau hier gern ein paar Fragen stellen.«
Noch einer mit dieser merkwürdigen Haut. Sie musterte den großen, schlaksigen jungen Soldaten, der vorsichtig näher kam. Er trug einen weiteren Jutesack, aus dem Sand in einer staubigen Wolke herausrieselte. Der Vermummte soll mich holen, was für ein hübscher Junge … obwohl mir diese … Verletzlichkeit wahrscheinlich irgendwann auf die Nerven gehen würde. Sie stand auf. »Ich möchte etwas über Felisin wissen«, sagte sie und legte dabei eine gewisse Schärfe in ihre Stimme.
Die ausreichte, um Pellas Aufmerksamkeit zu erregen, denn er warf ihr einen wachsamen Blick zu.
Die beiden Hunde waren aufgewacht, als Wahr herangekommen war, aber keiner stand auf; sie starrten den Jungen einfach nur an.
Wahr stellte den Sack ab. Seine Wangen röteten sich.
Mein Liebreiz. Nicht Pella wird sich an diesen Tag erinnern. Nicht er wird jemanden finden, den er verehren kann. »Sag mir, was an der Westküste der Otataral-Insel geschehen ist. Hat das Treffen wie geplant stattgefunden?«
»Ich glaube schon«, sagte Wahr nach einem Augenblick. »Aber wir hatten mit dem ganzen Plan überhaupt nichts zu
Weitere Kostenlose Bücher