SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
kann.
Es hat einmal eine Gelehrte gegeben – ich habe ihren Namen vergessen –, die behauptet hat, dass Otataral durch die Auslöschung all dessen geschaffen wird, was notwendig ist, damit Zauberei wirken kann. Wie Schlacke, aus der alles Erz ausgebrannt wurde. Sie hat es das absolute Aufzehren von Energie genannt – der Energie, die rechtmäßig in allen Dingen existiert, egal ob belebt oder unbelebt.«
»Und hatte sie auch eine Theorie, wie so etwas geschehen könnte?«
»Vielleicht durch die Menge der entfesselten magischen Energien – oder durch einen Spruch, der all die Energie verzehrt, von der er sich nährt.«
»Aber noch nicht einmal die Götter könnten solche magischen Energien handhaben.«
»Das stimmt, aber ich glaube, dass es nichtsdestotrotz möglich ist … durch ein Ritual, wie es ein Kader – oder eine Armee – sterblicher Magier ausführen könnte.«
»In der Art des Rituals von Teilann«, sagte L’oric nickend. »Klar.«
»Oder«, sagte Heboric leise, während er nach seinem Becher griff, »wie das Herabrufen des Verkrüppelten Gottes …«
L’oric saß reglos da, starrte den tätowierten ehemaligen Priester an. Er sagte lange nichts, während Heboric seinen Hen’bara-Tee schlürfte. Schließlich räusperte sich der Hohemagier. »Also gut. Ich werde Euch nun noch eine letzte Information geben – ich erkenne jetzt die Notwendigkeit, die überwältigende Notwendigkeit, es zu tun, auch wenn ich dadurch … viel von mir selbst preisgebe.«
Heboric saß da und hörte zu, und während L’oric weitersprach, verblassten die Begrenzungen seiner heruntergekommenen Hütte zur Bedeutungslosigkeit, und die Hitze der Feuerstelle drang nicht mehr zu ihm durch. Das einzige Gefühl, das er noch hatte, kam von seinen geisterhaften Händen. Denn die wurden an den Enden seiner Arme so schwer, als trügen sie das Gewicht der ganzen Welt.
Die aufgehende Sonne löschte alle Farben am östlichen Himmel. Karsa überprüfte ein letztes Mal seine Vorräte, die Packen mit Essen und die Schläuche mit Wasser sowie die zusätzlichen Dinge, die man für das Überleben in einem heißen, trockenen Land brauchte. Es war eine Ausrüstung, die völlig anders war als die, die er den größten Teil seines Lebens getragen hatte. Selbst das Schwert war anders – Eisenholz war schwerer als Blutholz, die Schneide rauer, obwohl sie fast – aber eben nicht ganz – genauso hart war. Es glitt nicht mit der gleichen Leichtigkeit durch die Luft wie sein eingeöltes Blutholz-Schwert. Doch es hatte ihm stets gute Dienste geleistet. Er sah zum Himmel hinauf. Die Farben der Morgendämmerung waren fast vollkommen verschwunden, das Blau direkt über ihm verschwand hinter schwebenden Staubschleiern.
Hier, im Herzen der Raraku, hatte die Göttin des Wirbelwinds der Sonne die Farbe des Feuers gestohlen, so dass die Landschaft farblos und tödlich wirkte. Farblos, Karsa Orlong? Bairoth Gilds geisterhafte Stimme klang sarkastisch. Aber nicht doch. Silbern, mein Freund. Und Silbern ist die Farbe des Vergessens. Des Chaos. Silbern wie die Klinge, wenn das letzte Blut abgewischt ist -
»Keine Worte mehr«, knurrte Karsa.
Leomans Stimme erklang von ganz in der Nähe. »Ich bin doch gerade erst angekommen, Toblakai, und habe noch gar nichts gesagt. Willst du nicht, dass ich dir Lebewohl sage?«
Karsa richtete sich langsam auf, warf sich seinen Packsack über eine Schulter. »Worte müssen nicht laut ausgesprochen werden, mein Freund, um sich als unerwünscht zu erweisen. Ich habe nur meinen eigenen Gedanken geantwortet. Dass du hier bist, gefällt mir. Als ich vor langer Zeit meine erste Reise begonnen habe, ist niemand gekommen, um Zeuge meines Aufbruchs zu werden.«
»Ich habe Sha’ik gefragt«, erwiderte Leoman, der noch ungefähr zehn Schritte entfernt stand. Er war gerade durch die Bresche in der niedrigen, verfallenen Mauer getreten – die Schlammziegel waren, wie Karsa sah, auf ihrer Schattenseite voller Rhizan, die mit angelegten Flügeln an ihnen hingen; ihre gesprenkelten Körper waren von den ockerfarbenen Ziegeln kaum zu unterscheiden. »Aber sie hat gesagt, sie würde heute Morgen nicht mit mir kommen. Was noch merkwürdiger ist – es hatte den Anschein, als hätte sie bereits über deine Absichten Bescheid gewusst und nur auf meinen Besuch gewartet.«
Schulterzuckend blickte Karsa Leoman an. »Ein Zeuge reicht. Wir können jetzt unsere Abschiedsworte sprechen. Verstecke dich nicht zu lange in deiner Grube, mein
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