SdG 06 - Der Krieg der Schwestern
beschränkt auf eine einfache, wenn auch ein bisschen geheimnisvolle Welt. Aber diese Schwäche hatte nur Karsa besessen; sie war nicht typisch für die Teblor an sich, denn Bairoth Gild hatte Karsa schneidende Worte entgegengeschleudert – ein Quell fortwährender Erheiterung für den schlauen Krieger, auch wenn seine Erheiterung durch Karsas Unfähigkeit, zu erkennen, was sich wirklich hinter den Worten verbarg, wahrscheinlich immer wieder einen Dämpfer erlitten hatte.
Torvald Noms nie endender Wortschwall – aber nein, mehr als das … alles, was Karsa erlebt hatte, seit er sein Dorf verlassen hatte – hatte als Einweisung in die Komplexität der Welt gedient. Spitzfindigkeit und Scharfsinn waren giftige Schlangen gewesen, die sich unsichtbar durch sein Leben geschlängelt hatten. Viele Male hatten sie ihre Fänge tief in ihn geschlagen, doch kein einziges Mal war er sich ihres Ursprungs bewusst geworden; kein einziges Mal hatte er auch nur die Quelle seines Schmerzes verstanden. Das Gift selbst war tief in seinem Innern gekreist, und die einzige Antwort, die er darauf gehabt hatte – wenn er überhaupt eine gehabt hatte –, war Gewalt gewesen, eine oft auch irregeleitete Gewalt. Er hatte einfach nur nach allen Seiten um sich geschlagen.
Dunkelheit – und blind leben. Karsa richtete den Blick wieder auf den Daru, der da auf dem Deck kniete und abgetrennte Köpfe einwickelte. Und wer hat die Binde von meinen Augen gerissen? Wer hat Karsa Orlong, den Sohn des Synyg, aufgeweckt? Urugal? Nein, nicht Urugal. Das wusste er ganz sicher, denn die außerweltliche Wut, die er in der Kabine verspürt hatte, jener eisige Hauch, der durch ihn hindurchgeströmt war – das gehörte zu seinem Gott. Ein grimmiges Missfallen – dem Karsa merkwürdig … gleichgültig gegenübergestanden hatte.
Die Sieben Gesichter im Fels sprachen niemals von Freiheit. Die Teblor waren ihre Diener. Ihre Sklaven.
»Du siehst aus, als ob es dir nicht gut ginge, Karsa«, sagte Torvald und trat zu ihm. »Es tut mir Leid, was ich eben gesagt – «
»Dazu besteht kein Anlass, Torvald Nom«, sagte Karsa und stand auf. »Wir sollten zu unserem Boot zurück – «
Er verstummte, als ihn die ersten Regentropfen trafen, die bald überall auf das Deck prasselten. Milchiger, schleimiger Regen.
»Pfui!«, ächzte Torvald. »Wenn das die Spucke eines Gottes ist, dann ist er fraglos unpässlich.«
Das Wasser roch faulig, verwest. Es überzog die Decks, die Takelage und die zerrissenen Segel über ihren Köpfen schnell mit dickem, farblosem Schleim.
Fluchend begann der Daru, Lebensmittel und Wasserfässer zusammenzusuchen, um sie anschließend in ihr Boot zu laden. Karsa machte eine letzte Runde auf den Decks, untersuchte die Waffen und die Rüstungen, die er den grauhäutigen Leichnamen ausgezogen hatte. Er fand ein Gestell mit Harpunen und nahm die sechs mit, die noch da waren.
Der Regen wurde stärker und errichtete trübe, undurchdringliche Mauern auf allen Seiten des Schiffs. Karsa und Torvald verstauten die Vorräte in ihrem Boot – wobei sie immer wieder auf der dicker werdenden Schleimschicht ausrutschten – und stießen sich dann vom Rumpf des Schiffs ab, der Teblor an den Rudern. Binnen weniger Augenblicke war das Schiff nicht mehr zu sehen, und rings um sie ließ der Regen nach. Fünf Züge mit den Rudern, und sie waren vollständig aus der Regenzone heraus, befanden sich wieder auf dem sich sanft wiegenden Meer unter einem farblosen Himmel. Weiter voraus war die eigenartige Küstenlinie zu sehen, die langsam näher rückte.
Nur wenige Augenblicke nachdem das Boot mit seinen beiden Passagieren hinter dem Vorhang aus schlammigem Regen verschwunden war, erhoben sich auf dem Vorderdeck des mächtigen Schiffs sieben fast körperlose Gestalten aus dem Schmutz – Gestalten aus zerschmetterten Knochen und klaffenden Wunden, aus denen keinerlei Blut floss. Sie schwankten unsicher im Dämmerlicht, als drohte die Szenerie, die sie gerade betreten hatten, sich ihrem Griff immer wieder zu entziehen.
Eine von ihnen zischte voller Wut: »Jedes Mal, wenn wir versuchen, den Knoten zuzuziehen – «
»Zerschlägt er ihn«, beendete eine andere Gestalt den Satz in sarkastischem, bitterem Tonfall.
Eine dritte ging hinunter aufs Hauptdeck und trat planlos nach einem fallen gelassenen Schwert. »An diesem Fehlschlag sind die Tiste Edur schuld«, erklang ihre krächzende Stimme. »Wenn eine Bestrafung erfolgen muss, sollte es auch eine Reaktion
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