SdG 07 - Das Haus der Ketten
Sie wurde an einem Arm durch den Abfall gezogen. Von irgendwo weiter vorn wehte der Gestank des Latrinengrabens zu ihr heran, dick wie Nebel, ein Atemzug warmer, vergifteter Luft. Ihre Lippen waren aufgeplatzt, und in ihrem Mund war der Geschmack von Blut. Die Schulter des Arms, an dem der Soldat zerrte, schmerzte.
Der Mann murmelte vor sich hin. »… schon ein hübsches Ding. Kaum. Wenn sie im Dreck ersäuft. Dieser Narr, und jetzt ist er tot. Es war schließlich eine einfache Aufgabe. Es gibt genug Huren in diesem verdammten Lager. Was – wer – «
Er war stehen geblieben.
Scillaras Kopf rollte herum, und sie erhaschte einen verschwommenen Blick auf eine untersetzte Gestalt, die aus der Dunkelheit auftauchte.
Der Wächter ließ ihr Handgelenk los, und ihr Arm fiel mit einem Platschen auf warmen, faulig riechenden Schlamm. Sie sah, wie der Wächter nach seinem Schwert griff.
Dann wurde sein Kopf zurückgeschleudert, während ein Geräusch ertönte, als wären Zähne zerschmettert worden, gefolgt von einer heißen Fontäne, die über Scillaras Oberschenkel spritzte. Blut.
Sie glaubte, einen merkwürdigen smaragdgrünen Schimmer zu sehen, der von einer Hand des Mannes ausging, der den Wächter getötet hatte – einer Hand mit Krallen wie die einer großen Katze.
Die Gestalt trat über den zusammengesunkenen Körper des Wächters, der sich nicht mehr bewegte, und ließ sich langsam neben Scillara in die Hocke sinken.
»Ich habe nach dir gesucht«, knurrte er. »Das ist mir zumindest gerade klar geworden. Außergewöhnlich, wie sich das Leben einzelner Menschen mit dem ganzen Durcheinander verbindet, wieder und wieder, und dann sind alle in einem größeren Strudel gefangen. Sie wirbeln herum und herum und immer weiter abwärts, wie es scheint. Immer weiter abwärts. Wir sind allesamt Narren, dass wir glauben, wir könnten uns aus dieser Strömung befreien.«
Die Schatten auf seinem Körper waren seltsam. Als stünde er zwischen Palmen und hohen Gräsern – aber nein, über dem untersetzten, breitschultrigen Mann war nichts als der Nachthimmel. Er war tätowiert, wurde ihr klar, mit den Streifen eines Tigers.
»In letzter Zeit wird ziemlich viel gemordet«, murmelte er und starrte aus bernsteinfarbenen Augen auf sie herab. »Ich gehe davon aus, dass all die losen Fäden bald miteinander verknüpft werden.«
Sie schaute zu, wie seine schimmernde, krallenbewehrte Hand sich nach ihr ausstreckte. Sich mit der Handfläche warm zwischen ihre Brüste legte. Die Spitzen der Krallen prickelten auf ihrer Haut, und ein Beben durchrann sie.
Das sich ausbreitete, heiß durch ihre Adern kreiste. Die Hitze wurde plötzlich heftig, in ihrer Kehle, ihrer Lunge, zwischen ihren Beinen.
Der Mann grunzte. »Ich dachte, dieser rasselnde Atem käme von der Schwindsucht. Aber nein, es ist einfach nur zu viel Durhang. Und was den Rest angeht, nun, das mit der Lust ist eine seltsame Sache. Etwas, von dem Bidithal wollte, dass du es niemals erfährst. Der Feind der Lust ist nicht der Schmerz. Nein, Schmerz ist einfach nur der Pfad, der zur Gleichgültigkeit führt. Und Gleichgültigkeit zerstört die Seele. Natürlich mag Bidithal zerstörte Seelen – als Spiegel seiner eigenen.«
Falls er noch weitersprach, hörte sie es nicht mehr, denn ein Gefühl, das sie schon lange nicht mehr empfunden hatte, floss in sie hinein, leicht abgeschwächt durch den allgegenwärtigen befriedigenden Schleier aus Durhang. Sie fühlte sich zwischen ihren Beinen übel missbraucht, doch sie wusste, dieses Gefühl würde vergehen.
»Schmach.«
Er nahm sie in die Arme und hielt dann inne. »Du hast etwas gesagt?«
Schmach. Ja. Das. »Wo bringt Ihr mich hin?« Die Frage wurde zwischen zwei Hustenanfällen gestellt, und sie schob seine Arme beiseite, um sich vorzubeugen und Schleim auszuspucken, während er antwortete.
»In meinen Tempel. Fürchte dich nicht, dort bist du in Sicherheit. Weder Bidithal noch Febryl werden dich dort finden. Du bist zwangsgeheilt worden, Schätzchen, und wirst schlafen müssen.«
»Was habt Ihr mit mir vor?«
»Ich bin mir noch nicht sicher. Ich glaube, ich werde deine Hilfe brauchen, und zwar schon bald. Aber du hast die Wahl. Du wirst nichts tun müssen, was du nicht willst. Und solltest du dich dazu entschließen, einfach wegzugehen, dann ist das auch in Ordnung. Ich werde dir Geld und Vorräte geben – und vielleicht kann ich sogar ein Pferd für dich auftreiben. Doch darüber können wir morgen sprechen. Wie
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