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SdG 07 - Das Haus der Ketten

SdG 07 - Das Haus der Ketten

Titel: SdG 07 - Das Haus der Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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Augen verengten sich leicht, als er Onrack einen raschen Blick zuwarf. Er nickte. »Ja.«
    So, wie das Wissen vor meinem inneren Auge erblühte, nachdem das Ritual von Teilann zerschmettert worden war. Gut, das verstehe ich. »Mach dich bereit, deine Geschichte zu erzählen, Trull Sengar. Wenn sich irgendeine Lehre daraus ziehen lässt, liegt es in der Verantwortung derer, die die Geschichte hören, sie zu erkennen. Du bist von diesem Druck befreit.«
    Monok Ochem grunzte. »Das kann man so nicht sagen. Jede Geschichte belehrt. Wenn der Erzähler diese Wahrheit nicht beachtet, tut er dies auf eigene Gefahr. Wenn es sein muss, Trull Sengar, schneide dich aus der Geschichte heraus, die du uns erzählen wirst. Die einzige Lektion, die darin liegt, ist eine der Demut.«
    Trull Sengar schaute grinsend zu dem Knochenwerfer auf. »Keine Sorge, ich habe niemals eine wichtige Rolle gespielt. Und was das Herausschneiden anbelangt – nun, das ist bereits geschehen. Ich werde die Geschichte der Tiste Edur, die nördlich von Lether beheimatet waren, also genau so erzählen, wie sie selbst es tun würden. Mit einer Ausnahme – die sich, wie ich zugeben muss, als höchst problematisch erweisen könnte –, und zwar werde ich die Geschichte ohne Ausschmückungen erzählen. Ohne im Ruhm zu schwelgen, ohne das Schicksal oder die Unausweichlichkeit heranzuziehen. Ich werde mich also bemühen, ein anderer zu sein als der Tiste Edur, der ich zu sein scheine, und versuchen, meine kulturelle Identität wegzureißen und so die Geschichte zu läutern – «
    »Das Fleisch lügt nicht«, sagte Monok Ochem. »Daher können wir nicht getäuscht werden.«
    »Das Fleisch mag vielleicht nicht lügen, aber der Geist kann es, Knochenwerfer. Schule dich selbst in Blindheit und Gleichgültigkeit – ich werde meinerseits versuchen, das Gleiche zu erreichen.«
    »Wann wirst du mit deiner Geschichte beginnen?«
    »Wenn wir den Ersten Thron erreicht haben, Monok Ochem. Während wir darauf warten, dass die Abtrünnigen kommen … und die mit ihnen verbündeten Tiste Edur.«
    Ibra Gholan tauchte wieder auf, einen Hasen mit gebrochenem Genick in der Hand, den er in einer einzigen Bewegung häutete. Danach warf er den blutverschmierten Kadaver neben Trull Sengar auf den Boden. »Iss«, wies der Krieger ihn an und warf das Hasenfell beiseite.
    Onrack entfernte sich ein paar Schritte, während der Tiste Edur damit begann, ein Feuer zu entfachen. Trull Sengars Worte hatten ihn beunruhigt. Das Scheren hatte viel dazu beigetragen, die körperlichen Merkmale zu entfernen, die Trull Sengar als Tiste Edur erkennbar machten. Der kahle Schädel, die von Narben übersäte Stirn. Doch es schien, als wären diese körperlichen Veränderungen nichts im Vergleich zu denen, die man dem Geist des Tiste Edur aufgezwungen hatte. Onrack wurde klar, dass er angefangen hatte, sich in Trull Sengars Gesellschaft wohl zu fühlen, vielleicht eingelullt von der Ausgeglichenheit des Edur, von der Leichtigkeit, mit der er Not und äußerste Verzweiflung hinnahm. Doch dieser Trost war trügerisch, wie es jetzt schien. Trull Sengars Ruhe rührte von Narben her, von einem Heilungsprozess, der ihn hatte gefühllos werden lassen. Sein Herz war unvollständig. Er ist wie ein T’lan Imass, doch in sterbliches Fleisch gehüllt. Wir fordern ihn auf, seine Erinnerungen an sein Leben wiederzuerwecken, und wundern uns über die Mühe, die er damit hat, unserem Wunsch nachzukommen. Doch der Fehler liegt bei uns, nicht bei ihm.
    Wir sprechen über die, die wir verbannt haben, aber nicht, um zu warnen, wie Monok Ochem behauptet. Nein, unsere Beweggründe sind nicht so edel. Wir sprechen über sie, um uns noch einmal unseres Urteils zu vergewissern. Und dabei ist es unsere Unnachgiebigkeit, die plötzlich den heftigsten Kampf austrägt – mit der Zeit selbst, mit der Welt, die sich um uns herum verändert.
    »Ich werde meine Geschichte mit einer zugegebenermaßen moralischen Anmerkung einleiten«, sagte Trull Sengar, während er den abgehäuteten Hasen briet.
    »Erzähl mir diese moralische Anmerkung«, sagte Monok Ochem.
    »Das werde ich tun, Knochenwerfer. Sie betrifft die Natur … und die Notwendigkeit, ein Gleichgewicht zu halten.«
    Hätte Onrack eine Seele besessen, hätte er gespürt, wie sie eiskalt wurde. So drehte der Krieger sich nur um, als er Trull Sengars Worte hörte.
    »Druck und Gegendruck stehen einander immer gegenüber«, begann der Edur, während er den aufgespießten Hasen

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