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SdG 07 - Das Haus der Ketten

SdG 07 - Das Haus der Ketten

Titel: SdG 07 - Das Haus der Ketten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Erikson
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geschlechtslos. Sie waren von einer Perfektion – ihre Proportionen, ihre Oberfläche makellos –, die dem Ex-Priester den Eindruck vermittelte, dass die Riesen niemals lebendig gewesen sein konnten. Sie waren künstliche Gebilde, waren tatsächlich Statuen, auch wenn keiner von ihnen in Körperhaltung und Gesichtsausdruck dem anderen glich.
    Nachdenklich beobachtete er, wie sie an ihm vorbeizogen. Ihm kam der Gedanke, dass er sich umdrehen könnte, um nachzusehen, ob sie einfach nur zu einem anderen Punkt weit hinter ihm dahinschrumpfen würden – so, als läge er am Rande eines Flusses aus grünem Stein.
    Seine eigene Bewegung erforderte keinerlei Anstrengung.
    Als er sich umdrehte, sah er -
    - und schrie auf.
    Ein Schrei, der kein Geräusch verursachte.
    Eine riesige – eine unvorstellbar riesige – rotgeränderte Wunde mit eiternden Flammen an ihren zerklüfteten Rändern zerschnitt die Dunkelheit. Graue Stürme aus Chaos spiralisierten in lanzenförmigen Fühlern aus ihr heraus.
    Und die Riesen versanken in diesem Rachen. Einer nach dem anderen. Um darin zu verschwinden. Eine Offenbarung nahm in seinem Geist Gestalt an.
    So wurde der Verkrüppelte Gott auf unsere Welt herabgebracht. Durch diese … diese schreckliche Wunde. Und diese Riesen … folgen ihm. Wie eine Armee ihrem Befehlshaber.
    Oder eine Armee, die jemanden verfolgt.
    Ob alle diese Jaderiesen irgendwo in seiner eigenen Sphäre herauskamen? Das schien unmöglich. Sie müssten an zahllosen Orten zu finden sein, wenn das der Fall wäre. Gegenwärtig und unübersehbar. Nein, die Wunde war riesig, die Riesen wurden zu kleinen Punkten, bevor sie das wartende Vergessen erreichten. Eine derartige Wunde konnte Tausende von Welten verschlingen. Zehntausende. Hunderttausende.
    Vielleicht war all das, dessen er hier Zeuge wurde, nichts als eine Halluzination, die Phantasien eines vom Hen’bara-Tee verursachten Fiebers.
    Doch die Klarheit schmerzte beinahe, die Vision war so brutal … fremdartig … dass er sie für wahr hielt, oder zumindest für das Produkt dessen, was sein Verstand begreifen konnte, was er in verständliche Bilder umformen konnte – Statuen und Wunden, Stürme und Blutströme, ein ewig währendes Meer aus Sternen und Welten …
    Ein Augenblick der Konzentration, und er drehte sich erneut. Um die endlos heranwirbelnde Reihe der Riesen anzusehen.
    Und dann bewegte er sich auf den nächsten Riesen zu.
    Er bestand nur aus Rumpf und Kopf, die Gliedmaßen trudelten abgetrennt in seinem Kielwasser dahin.
    Die Gestalt wurde rasch größer vor ihm, wurde zu schnell zu groß. Plötzlich ergriff Panik Heboric. Er konnte in den Körper hineinsehen, als ob die Welt im Innern des Jaderiesen den gleichen Maßstab hätte wie seine eigene. Der Beweis für diese Vermutung war schrecklich – und Furcht erregend.
    Gestalten. Körper wie sein eigener. Menschen, Tausende und Abertausende, alle gefangen in der Statue. Sie waren gefangen … und sie schrien. Ihre Gesichter waren verzerrt vor Entsetzen.
    Eine Menge dieser Gesichter wandten sich plötzlich ihm zu. Münder öffneten sich zu stummen Schreien – wollten sie ihn warnen, schrien sie vor Hunger oder vor Angst? … Es war nicht möglich, das zu erkennen. Falls sie tatsächlich schrien, drang kein Geräusch an sein Ohr.
    Heboric fügte seinen eigenen stummen Schrei hinzu und setzte verzweifelt seine ganze Willenskraft ein, um der Statue auszuweichen. Denn er glaubte, dass er nun verstand – das waren Gefangene, umschlossen von steinernem Fleisch, gefangen in einer unbekannten Qual.
    Dann war er vorüber, Heboric wurde in dem turbulenten Kielwasser hin und her geworfen, das die zerbrochene Statue hinter sich herzog. Während er Hals über Kopf dahinwirbelte, erhaschte er einen Blick auf noch mehr Jade, genau vor ihm.
    Eine Hand.
    Ein Finger, der herabstieß, als wollte er ihn zermalmen.
    Er schrie auf, als der Finger ihn erreichte.
    Er spürte keine Berührung, doch die Schwärze verschwand einfach, und das Meer war smaragdgrün und eisig kalt.
    Und Heboric fand sich inmitten einer Menge sich windender, heulender Gestalten wieder.
    Der Lärm war ohrenbetäubend. Es gab keinen Platz, um sich zu bewegen – seine Glieder wurden an seinen Körper gedrückt. Er konnte nicht atmen.
    Er war ein Gefangener.
    In seinem Schädel brüllten Stimmen. Zu viele, in Sprachen, die er nicht erkennen, geschweige denn verstehen konnte. Wie vom Sturm gepeitschte Wogen, die an einen Strand brandeten, hämmerten die

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