SdG 07 - Das Haus der Ketten
einzudringen, blieb zunächst ein Rätsel, aber sie hatten es getan, hatten ihr Vorhaben mit ihrer legendären Brutalität ausgeführt.
Hatten die Liosan gespürt, dass jemand gestorben war? Anfangs vielleicht nur die Seneschalls. Würden sie mit den anderen darüber sprechen? Nicht, wenn sie auch nur einen einzigen Augenblick innehalten und nachdenken. Natürlich waren auch sie die ganze Zeit Opfer der Täuschung geworden. Osric war verschwunden – ihr Gott war fort – und Kurald Thyrllan reif zur Eroberung. Und schließlich würden die Seneschalls erkennen, dass, hätte sich hinter der Macht, die ihre Gebete beantwortet hatte, tatsächlich Osric verborgen, drei T’lan Imass Krieger nicht ausgereicht hätten – nicht einmal annähernd. Mein Vater mag vieles sein – aber schwach ganz bestimmt nicht.
Das verwelkte, vogelgroße Ding, das einmal sein Schutzgeist gewesen war, rutschte hinunter auf den Fußboden. L’oric starrte es an und schlang sich dann langsam die Arme um den Oberkörper. Ich brauche … ich brauche Hilfe. Vaters Gefährten. Aber an wen soll ich mich wenden? Anomander Rake? Nein. Er war gelegentlich Osrics Wegbegleiter, aber niemals sein Freund gewesen. Lady Missgunst? Bei den Göttern, nein! Caladan Bruth … der trägt in diesen Tagen seine eigene Bürde. Und somit ist nur noch eine einzige übrig …
L’oric schloss die Augen und rief die Königin der Träume an. »Bei deinem wahren Namen, T’riss, ich möchte mit dir sprechen. Im Namen Osrics, meines Vaters, erhöre meine Gebete …«
Langsam formte sich ein Bild in seinen Gedanken, ein Ort, der ihm fremd war. Ein architektonischer Garten mit hohen Mauern und einem kreisrunden Teich in der Mitte. Marmorbänke warteten im Schatten der umstehenden Gewächse. Auf den Fliesen um den Teich lag feiner weißer Sand.
Er stellte fest, dass er auf den Teich zuschritt, und starrte hinunter auf die spiegelnde Oberfläche.
Wo Sterne in tintiger Schwärze schwammen.
»Eine gewisse Ähnlichkeit besteht.«
Er wandte den Kopf, als er die perlende Stimme hörte, und sah eine Frau, die am Rande des Teichs saß. Sie sah nicht älter als zwanzig Jahre aus, mit langen, kupfergoldenen Haaren. Ein herzförmiges, blasses Gesicht mit hellgrauen Augen. Sie sah ihn nicht an; ihr gelangweilter Blick ruhte auf der spiegelglatten Oberfläche des Teichs. »Obwohl du gut daran getan hast, deine Liosan-Züge zu verbergen«, fügte sie mit einem schwachen Lächeln hinzu.
»Wir sind gut in solchen Dingen, Königin der Träume.«
Sie nickte, blickte ihn immer noch nicht an. »Wie alle Tiste. Anomander hat einst fast zwei Jahrhunderte in der Verkleidung eines königlichen Leibwächters gelebt … als ein Mensch, in der Art, wie du es geworden bist.«
»Herrin«, sagte L’oric, »mein Vater – «
»Schläft. Wir alle haben vor langer Zeit unsere Wahl getroffen, L’oric. Hinter uns erstrecken sich unsere Spuren, lang und tief ausgetreten. Die Aussicht, in ihnen zurückzugehen, hat etwas Bitteres, Mitleid Erregendes. Doch für diejenigen von uns, die … wach bleiben, scheint es, als würden wir genau das tun. Endlos in den eigenen Spuren zurückgehen, doch jeder Schritt, den wir tun, führt vorwärts, denn unser Weg hat sich als Kreis erwiesen. Doch – und hierin liegt das wirklich Mitleid Erregende – verlangsamt dieses Wissen niemals unsere Schritte.«
»›Naiv und dumm‹, sagen die Malazaner.«
»Nun, das ist etwas derb, aber ziemlich treffend«, erwiderte sie. Sie streckte eine langfingrige Hand ins Wasser.
L’oric sah sie unter der Wasseroberfläche verschwinden, doch es war die Szenerie um sie herum, die aufgewühlt zu werden schien – eine leichte Unruhe, die Andeutung eines Waberns. »Königin der Träume, Kurald Thyrllan hat seinen Beschützer verloren.«
»Ja. Teilann und Thyr haben sich immer nahe gestanden, jetzt noch mehr als sonst.«
Das war eine merkwürdige Feststellung … über die er später würde nachdenken müssen. »Ich kann es nicht allein schaffen – «
»Nein, das kannst du nicht. Dein eigener Weg wird schon bald schwer werden, L’oric. Und so bist du zu mir gekommen, in der Hoffnung, dass ich einen passenden … Beschützer finde.«
»Ja.«
»Deine Verzweiflung zwingt dich, zu vertrauen … wo bisher kein Vertrauen erworben wurde – «
»Ihr wart eine Freundin meines Vaters!«
»Eine Freundin? L’oric, wir waren zu mächtig, um so etwas wie Freundschaft zu kennen. Unsere Anstrengungen waren zu heftig. Wir haben Krieg
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