SdG 07 - Das Haus der Ketten
Kompanie erwiesen haben. Wir haben Sha’ik getötet, Perl.«
»Und wer – im Namen des Vermummten – hat dann den Befehl über die Apokalypse?«
»Ich weiß es nicht.«
»Könnt Ihr mir die Stelle zeigen, an der der Überfall stattgefunden hat?«
»Morgen früh, ja. Ich kann Euch direkt hinführen.« Er starrte sie einfach nur an, während die Kugel aus Licht über ihnen zu flackern begann und schließlich mit einem leisen Seufzen verschwand.
Seine Erinnerungen waren erwacht. Überlagert und durch zahllose Jahrhunderte gefühllos geworden, hatte im Innern der T’lan Imass eine Landschaft gelegen, die Onrack nun wieder entziffern konnte. Und damit auch das, was er jetzt vor sich sah … dahin waren die Tafelberge am Horizont, die vom Wind geformten Türme aus Sandstein, die weiten Flächen aus Sanddünen und die weißen Streifen aus zermahlenen Korallen. Dahin waren die tiefen Schluchten und ausgetrockneten Flussbetten, die bepflanzten Felder und Bewässerungsgräben. Selbst die Stadt im Norden, am entferntesten Rand des Horizonts, die sich wie ein Geschwür an den riesigen, sich windenden Fluss klammerte, wurde vor seinem geistigen Auge substanzlos und flüchtig.
Und alles, was er nun sah, war, wie es gewesen war … vor langer, langer Zeit.
Die trüben Wogen des Binnenmeers, die wie das Versprechen der Ewigkeit an einen kiesigen Strand rollten, der sich ohne Unterbrechung bis zu den Bergen nach Norden erstreckte, die eines Tages die Thalasberge genannt werden würden, und nach Süden, um jenes Überbleibsel zu umschließen, das heutzutage als Clatar-See bekannt war. Korallenriffe zeigten ihr raues Rückgrat eine halbe Meile jenseits des Strands, über dem Möwen und längst ausgestorbene langschnäbelige Vögel ihre Kreise zogen.
Gestalten schritten am Strand entlang. Renig Obars Clan, der aus seiner heimatlichen Tundra gekommen war, um mit Wal-Elfenbein und Dhenrabi-Öl zu handeln, und es schien, als hätten sie die kalten Winde mitgebracht … doch vielleicht deutete das unpassende Wetter, das in diese warme Klimazone gekommen war, auch auf etwas Dunkleres hin. Einen Jaghut, der sich irgendwo in der Einöde verbarg und den Kessel von Omtose Phellack umrührte. Noch etwas mehr Kälte, und die Riffe würden sterben, und mit ihnen all die Kreaturen, die von ihnen abhängig waren.
Ein Hauch von Unbehagen durchlief den Onrack aus Fleisch und Blut. Doch er war beiseite getreten. Er war nicht mehr der Knochenwerfer seines Clans – Absin Tholai war schließlich weit besser in den verborgenen Künsten und hatte weit mehr von jenem Hunger, den alle verspüren mussten, die dem Pfad von Tellann folgten. Allzu oft hatte Onrack festgestellt, dass seine Gedanken von anderen Dingen angezogen wurden.
Von unverfälschter Schönheit etwa, wie er sie nun vor sich sah. Er war keiner, der den Kampf oder die Rituale der Zerstörung liebte. Er hatte es immer vermieden, in den hinteren Winkeln der Höhlen zu tanzen, wo die Trommeln dröhnten und die Echos durch den ganzen Körper rollten, als würde man einer in wilder Panik dahinjagenden Ranag-Herde im Weg liegen – eine Herde wie die, die Onrack auf die Höhlenwände um sie herum gespuckt hatte. Sein Mund bitter von Spucke, Holzkohle und Ocker, seine Handrücken befleckt, denn sie hatten die Spucke zurückgehalten, damit er die Formen auf den Felswänden erschaffen konnte. Kunst wurde in der Einsamkeit erschaffen, ohne Licht, auf Wänden, die nicht zu sehen waren, während der Rest des Clans in den vorderen Höhlen schlief. Und es war die schlichte Wahrheit, dass Onrack in der Zauberei des Malens so gut geworden war, weil er von dem Wunsch beseelt war, abseits zu sein – allein zu sein.
Und das bei einem Volk, in dem allein zu sein fast schon als Verbrechen galt. Wo sich abzusondern gleichbedeutend war mit schwächer werden. Wo das Zerlegen des Sehens in seine Bestandteile – vom Sehen zum Beobachten, zum Wiedererwecken der Erinnerung und dem Wiedererschaffen dieser Erinnerung auf unsichtbaren Felswänden – eine fein geschliffene, möglicherweise tödliche Neigung erforderte.
Was für ein armseliger Knochenwerfer. Onrack, du bist nie gewesen, was du hättest sein sollen. Und als du den ungeschriebenen Vertrag gebrochen und das wahre Bild einer sterblichen Imass gemalt hast, als du die liebliche, dunkle Frau in der Zeit gefangen hast, dort, in jener Höhle, die niemand hätte finden sollen … oh, da bist du dem Zorn deiner Verwandten anheim gefallen. Dem Zorn
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