SdG 07 - Das Haus der Ketten
von Logros selbst und dem des Ersten Schwerts.
Doch er erinnerte sich an den Ausdruck auf dem jugendlichen Gesicht von Onos T’oolan, als er das erste Mal das Bild seiner Schwester gesehen hatte. Erstaunen und Ehrfurcht, und das Wiederaufleben einer beständigen Liebe – Onrack war sich sicher, dass er all das im Gesicht des Ersten Schwerts gesehen hatte, war sich sicher, dass auch andere es gesehen hatten, obwohl natürlich niemand darüber gesprochen hatte. Das Gesetz war gebrochen worden, und das musste streng bestraft werden.
Er hatte niemals erfahren, ob Kilava selbst hingegangen war, um sich ihr Bild anzusehen; hatte niemals erfahren, ob sie verärgert gewesen war oder ob sie genug gesehen hatte, um zu erkennen, dass sein eigenes Herzblut in das Bild geflossen war.
Aber das ist die letzte Erinnerung, der ich mich nun widme.
»Dein Schweigen«, murmelte Trull Sengar, »lässt mich jedes Mal erschauern.«
»Es war in der Nacht vor dem Ritual«, erwiderte Onrack. »Nicht weit von dieser Stelle, an der wir jetzt stehen. Ich sollte verbannt werden. Ich hatte ein Verbrechen begangen, für das es keine andere Strafe gab. Doch dann warfen andere Ereignisse ihren Schatten auf die Clans. Vier Jaghut-Tyrannen hatten sich erhoben und einen Pakt geschlossen. Sie wollten dieses Land zerstören – was sie dann auch tatsächlich getan haben.«
Der Tiste Edur sagte nichts; vielleicht fragte er sich, was genau denn da zerstört worden war. Entlang des Flusses gab es Bewässerungsgräben und schmale Felder mit prächtigem grünen Getreide, die auf den Wechsel der Jahreszeiten warteten. Außerdem Straßen und Bauernhöfe sowie hier und da einen Tempel, und nur am südwestlichen Horizont beeinträchtigten die baumlosen Klippen eines Höhenzugs das Bild.
»Ich war in der Höhle – am Ort meines Verbrechens«, fuhr Onrack nach ein paar Herzschlägen fort. »Im Dunkeln, natürlich. Ich dachte, es wäre meine letzte Nacht bei meinen Verwandten. Obwohl ich in Wirklichkeit schon allein war, aus dem Lager und zu diesem Ort endgültiger Einsamkeit getrieben. Und dann ist jemand gekommen. Eine Berührung. Ein warmer Körper. Unglaublich weich – nein, es war nicht meine Frau. Sie war eine der Ersten gewesen, die mich gemieden hatte – aufgrund meiner Tat, aufgrund des Verrats, den diese Tat bedeutet hatte. Nein, es war eine fremde Frau, die ich in der Dunkelheit nicht erkannt habe …«
War sie es? Ich werde es niemals erfahren. Am Morgen war sie fort, hatte uns alle verlassen, wo doch das Ritual verkündet wurde und die Clans sich versammelten. Sie verweigerte sich dem Ruf – aber was noch viel entsetzlicher war, sie hatte ihre eigenen Verwandten getötet, alle außer Onos. Ihm war es gelungen, sie abzuwehren – ein eindeutiger Beweis dafür, was für ein hervorragender Kämpfer er war.
War sie es gewesen? Hat Blut an ihren Händen geklebt – Blut, das ich in der Dunkelheit nicht sehen konnte? War das getrocknete Pulver, das ich später auf meiner Haut gefunden habe – von dem ich zunächst gedacht hatte, dass es von dem umgefallenen Farbtopf stammte –, war das Blut gewesen? War sie vor Onos geflohen … zu mir, in meine schändliche Höhle?
Und wen habe ich im Durchgang zur nächsten Höhle gehört? Mitten während unseres Liebesspiels – ist da jemand gekommen und hat gesehen, was ich nicht sehen konnte?
»Du brauchst nichts mehr zu sagen«, sagte Trull sanft.
Das ist wahr. Und wenn ich noch sterbliches Fleisch wäre, würdest du mich weinen sehen und genau das sagen, was du gerade gesagt hast. Also kannst du meinen Kummer sehr wohl erkennen, Trull Sengar. Und doch fragst du dich immer noch, warum ich einen Eid geschworen habe.
»Die Spur der Abtrünnigen ist … frisch«, sagte Onrack nach einem Moment.
Trull lächelte leicht. »Und dir gefällt es, zu töten.«
»Ein Künstler findet stets neue Möglichkeiten, sich auszudrücken, Edur. Die künstlerische Ader in seinem Innern kann nicht zum Schweigen gebracht werden.« Der T’lan Imass drehte sich langsam um und blickte seinen Begleiter an. »Natürlich hat sich einiges verändert. Ich bin nicht mehr in der Lage, diese Jagd fortzusetzen … es sei denn, du willst es auch.«
Trull schnitt eine Grimasse, ließ den Blick über das Land im Südwesten schweifen. »Nun, die Aussicht ist nicht mehr ganz so verlockend, wie sie es einmal war, das muss ich zugeben. Aber diese Abtrünnigen sind Werkzeuge des Verrates an meinem Volk, Onrack, und ich will so viel wie
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