SdG 07 - Das Haus der Ketten
während er den Hang wieder hinausschritt.
Als er sich der Kuppe näherte, sprach Cynnigig hinter ihm: »Nicht einmal ein Jaghut könnte ein Jhag-Pferd so beruhigen, wie du es getan hast, Karsa Orlong. Ja, ihr Teblor seid tatsächlich Thelomen Toblakai, doch du bist noch dazu einzigartig unter deinesgleichen. Thelomen Toblakai Reiterkrieger. Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas möglich wäre. Karsa Orlong, warum haben die Teblor noch nicht ganz Genabackis erobert?«
Karsa warf dem Jaghut einen Blick zu. »Eines Tages werden wir das tun, Cynnigig.«
»Und du bist derjenige, der sie anführen wird?«
»Ja, das bin ich.«
»Dann sind wir also Zeugen der Geburt der Niedertracht geworden.«
Karsa trat an Havoks Schulter und strich den muskulösen Nacken des Tieres entlang. Zeugen? Ja, ihr seid Zeugen. Und doch – ihr könnt euch nicht vorstellen, was ich, Karsa Orlong, erschaffen werde.
Niemand kann das.
Cynnigig saß im Schatten des Baums, der Phyrlis enthielt, und summte leise vor sich hin. Die Abenddämmerung würde bald hereinbrechen. Der Thelomen Toblakai war fort, mitsamt seinem neuen Pferd. Er hatte sich auf den Rücken des Tiers geschwungen und war davongeritten, ohne Sattel, ja, sogar ohne Zügel. Die Herde war verschwunden, die Landschaft lag wieder so leer vor ihm wie zuvor.
Der gekrümmte Jaghut holte ein eingewickeltes Stück des Aras-Rehs heraus, das er am vergangenen Abend gebraten hatte, und begann es in schmale Scheiben zu schneiden. »Ich habe ein Geschenk für dich, teure Schwester.«
»Das sehe ich«, erwiderte sie. »Wurde es mit dem Steinschwert getötet?«
»Ja.«
»Dann ist es also eine Beute, um meinen Geist zu nähren.«
Cynnigig nickte. Er machte eine Pause und wedelte unbekümmert mit dem Messer herum. »Du hast gut daran getan, die Überreste zu verbergen.«
»Die Grundmauern haben natürlich überlebt. Die Wände des Hauses. Die Ankersteine in den Ecken des Hofs – alle unter meinem Mantel aus Erde.«
»Ziemlich dumm und gedankenlos von den T’lan Imass, einen Speer in die Grundfläche eines Azath-Hauses zu rammen.«
»Was wussten die denn schon von Häusern, Cynnigig? Sie waren Kreaturen, die in Höhlen und Fellzelten hausten. Außerdem lag es bereits im Sterben, und das schon seit Jahren. Es war tödlich verwundet worden. Oh, Icarium war fast am Boden, als er endlich in wahnsinniger Raserei den tödlichen Hieb ausgeteilt hat. Und hätte sein Begleiter, der Toblakai, diese Gelegenheit nicht genutzt, ihn bewusstlos zu schlagen …«
»Hätte er seinen Vater befreit.« Cynnigig nickte, während er weiter auf einem großen Bissen Fleisch herumkaute. Er stand auf und trat an den Baum. »Hier, Schwester«, sagte er und bot ihr eine Scheibe an.
»Es ist verbrannt.«
»Ich bezweifle, dass du es besser hinbekommen hättest.«
»Stimmt. Na los, schieb es runter – ich werde schon nicht beißen.«
»Du kannst nicht beißen, meine Liebe. Nebenbei bemerkt, mir gefällt die Ironie – Icariums Vater wollte nicht gerettet werden. Und so ist das Haus gestorben, schwächte das Gewebe …«
»Und zwar so sehr, dass das Gewirr auseinander gerissen wurde. Bitte noch mehr – du isst mehr davon als ich.«
»Gierige Hexe. Also hat Karsa Orlong uns … überrascht.«
»Ich bezweifle, dass wir die Ersten sind, die diesen jungen Krieger falsch eingeschätzt haben, Bruder.«
»Da gebe ich dir Recht. Und ich vermute, dass wir auch nicht die Letzten sein werden, die einen solchen Schreck bekommen.«
»Hast du die sechs T’lan-Imass-Geister gespürt, Cynnigig? Die dort draußen gelauert haben, jenseits der verborgenen Wände des Hofs?«
»Oh, natürlich. Sie sind jetzt Diener des Verkrüppelten Gottes, die Armen. Sie würden ihm gerne etwas sagen, glaube ich – «
»Wem? Dem Verkrüppelten Gott?«
»Nein. Karsa Orlong. Sie verfügen über Wissen, mit dem sie den Thelomen Toblakai leiten wollen – aber sie haben sich nicht getraut, näher zu kommen. Ich vermute, die Präsenz des Hauses hat sie mit Furcht erfüllt.«
»Nein, das Haus ist tot – alles, was noch von seinen Lebensgeistern übrig ist, ist in den Speer geflossen. Nein, es war nicht das Haus, Bruder – es war Karsa Orlong. Ihn haben sie gefürchtet.«
»Ah.« Cynnigig lächelte, während er eine weitere Scheibe Fleisch in Phyrlis’ hölzernen Mund gleiten ließ, die sogleich in die leere Höhlung in ihrem Innern fiel und somit aus seinem Blickfeld verschwand. Dort würde sie verfaulen und den Baum mit Nährstoffen
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