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SdG 08 - Kinder des Schattens

SdG 08 - Kinder des Schattens

Titel: SdG 08 - Kinder des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Ericson
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Mitte – und diese Entdeckung entlockte dem Arbeiter einen weiteren Schrei und dem Ingenieur einen Fluch – trieb ein menschlicher Kopf. Blond gefärbte silberne Haare, ein blasses, von tiefen Falten durchfurchtes Gesicht mit einer hohen, breiten Stirn über starr blickenden, eng beieinander stehenden Augen.
    Andere Ratten rasten davon, als das Floß gegen die unterste Stufe stieß.
    Der Arbeiter keuchte auf. »Hol uns der Abtrünnige, es ist Ormly!«
    Die Augen flackerten, dann hob sich der Kopf, zog die ihm nächsten Ratten aus dem Floß mit sich hoch, gefolgt von buckligen Schultern, von denen schimmerndes Wasser strömte. »Wer in der Feste sollte es sonst sein?«, bellte die Erscheinung und verstummte dann, um einen Schleimklumpen hochzuziehen und in das wirbelnde Wasser zu spucken. »Na, wie findet ihr meine Trophäen?«, fragte der Mann und hob die Arme unter dem gewaltigen Umhang aus Ratten. »Schnüre und Schwänze. Sind aber verdammt schwer, wenn sie nass sind, muss man sagen.«
    »Wir haben gedacht, du wärst tot«, murmelte der Ingenieur in einem Tonfall, der andeutete, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn dem tatsächlich so wäre.
    »Du hast gedacht. Du denkst ständig, stimmt’s, Grum? Vielleicht dies, möglicherweise das, könnte sein, mag sein, sollte sein – hah! Denkst du, diese Ratten würden mir Angst einjagen? Denkst du, ich würde einfach so ertrinken? Bei der einladenden Grube der Feste, ich bin Rattenfänger und nicht irgendein alter Rattenfänger. Sie kennen mich, stimmt. Jede Ratte in dieser verdammten Stadt kennt Ormly den Rattenfänger! Wer ist das da?«
    »Finadd Brys Beddict,« stellte sich der Kämpe des Königs selbst vor. »Da habt Ihr aber eine beeindruckende Sammlung von Trophäen zusammengetragen, Rattenfänger.«
    Die Augen des Mannes leuchteten auf. »Nicht wahr? Es ist allerdings besser, wenn das Ding schwimmt. Im Augenblick ist es verdammt schwer. Verdammt schwer.«
    »Dann klettert am besten darunter heraus«, schlug Brys vor. »Ingenieur Grum, ich glaube, Ormly dem Rattenfänger stehen jetzt wohl eine gute Mahlzeit, viel Wein und eine dienstfreie Nacht zu.«
    »Jawohl, Finadd.«
    »Und was Eure Bitte angeht, so werde ich mit dem Ceda sprechen.«
    »Danke.«
    Brys ließ sie auf dem Treppenabsatz stehen. Es kam ihm immer unwahrscheinlicher vor, dass das Ewige Domizil bis zur Geburt des Achten Zeitalters fertig sein würde. In der Bevölkerung schien eine weniger als schwache Begeisterung für die kommenden Feierlichkeiten zu herrschen. Die Geschichte mochte wohl Prophezeiungen über das ruhmreiche Imperium erzählen, das dazu bestimmt war, sich in weniger als einem Jahr – von jetzt an gerechnet – neu zu erheben, aber es gab zur Zeit in der Tat wenig, was die Vorstellung einer Wiedergeburt stützte, weder wirtschaftlich noch militärisch. Wenn überhaupt, herrschte ein leichtes Unbehagen, das sich auf das bevorstehende Treffen mit den Stämmen der Tiste Edur bezog. Risiko und Gelegenheit – die beiden Worte bedeuteten bei den Letherii dasselbe. Trotzdem – Krieg war niemals erfreulich, selbst wenn das Ergebnis bisher immer zufrieden stellend ausgefallen war. Und so führte das Risiko zur Gelegenheit, und an die Besiegten verschwendete man nur noch wenige Gedanken.
    Zugegeben, die Stämme der Edur waren jetzt vereinigt. Andererseits waren derartige Bündnisse in der Vergangenheit schon häufiger geschlossen worden, um sich den Zielen der Letherii zu widersetzen, doch kein einziges davon hatte sich als unempfänglich gegenüber spaltenden Strategien erwiesen. Gold hatte wieder und wieder für Verrat gesorgt. Bündnisse zerfielen und der Feind brach zusammen. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass es dieses Mal anders sein würde?
    Brys wunderte sich über die blinde Selbstzufriedenheit seines eigenen Volkes. Er war sich sicher, dass er sich nicht über die öffentliche Meinung täuschte. Man war nervös, aber nur ein wenig. Die Märkte blieben lebhaft. Und die tagein, tagaus zu beobachtenden sinnlosen Sehnsüchte eines Volkes, dem Besitz alles bedeutete, wurden weiterhin unvermindert ausgelebt.
    Innerhalb des Palasts waren die Gefühle allerdings weitaus gemischter. Die Weissagungen des Ceda versprachen Lether eine grundsätzliche Veränderung. Kuru Qan sprach – auf mäandernde, nachdenkliche Weise – von einer Art von Aufsteigen. Eine Verwandlung … vom König zum Imperator, obwohl abzuwarten blieb, wie eine solche Weiterentwicklung sich manifestieren würde.

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