SdG 08 - Kinder des Schattens
den Gläubigen zugewandtes Gesicht haben, dann war ihre Miene spöttisch. Die Ketten der Sklaverei stahlen etwas, das die Betroffenen niemals besessen hatten.
Die Letherii-Sklaven in diesem Dorf schuldeten nichts. Sie dienten erkennbaren Bedürfnissen und wurden mit Essen und Obdach belohnt. Sie konnten heiraten. Kinder in die Welt setzen, die die Schulden ihrer Eltern nicht erben würden. Der Anteil des Tages, der für ihre Arbeiten bestimmt war, nahm nicht ständig zu, fraß nicht mehr und mehr ihrer Lebenszeit auf. Alles in allem erschien ihr der Verlust der Freiheit für diese Verwandten nahezu bedeutungslos.
Ein Kind namens Federhexe. Als wäre eine Hexe aus der fernen Vergangenheit – altmodisch gekleidet, steif und gekünstelt, wie alle veralteten Dinge es anscheinend waren – aus der Geschichte getreten. Die vom Mutterschoß erwählte Werferin der Fliesen, die ihre Kunst der Weissagung im Dienst der Gemeinschaft ausübte und nicht, um Münzen anzuhäufen. Vielleicht hatte der Name bei diesen Sklaven seine Bedeutung verloren. Vielleicht gab es hier keine alten Fliesen mehr, keine ernsten, feierlichen Nächte, in denen Schicksale sich auf einem verschmierten, von Sprüngen durchzogenen Pfad zusammenfanden, das schreckliche Mosaik der Bestimmung vor allen ausgelegt wurde – während ein junges Mädchen dabeisaß und das furchtbare Ritual aus dem Schatten einer Kapuze heraus beobachtete.
Sie hörte das Knirschen von Steinen in der Nähe der Flussmündung; als sie sich umdrehte, sah sie einen männlichen Sklaven, der sich an der Wasserlinie hinhockte. Er stieß seine Hände in das kalte, frische Wasser, als suchte er nach dem Erlass seiner Sünden oder begann eine eisig kalte Flucht.
Neugierig ging Seren Pedac zu ihm hinüber.
Der Blick, den er ihr zuwarf, war zurückhaltend, beinah scheu. »Freisprecherin«, sagte er. »Dies sind bei den Edur bedeutende Stunden. Worte bleiben am besten unausgesprochen.«
»Allerdings sind wir keine Edur«, erwiderte sie. »Oder doch?«
Er zog seine Hände aus dem Wasser, und sie sah, dass sie rot und geschwollen waren. »In diesen Landen strömt Emurlahn aus dem Boden, Freisprecherin.«
»Nichtsdestotrotz sind wir Letherii.«
Sein Grinsen war gequält. »Freisprecherin, ich bin ein Sklave.«
»Ich habe darüber nachgedacht. Über die Sklaverei. Und die Freiheit von Schulden. Wie bewertest du diesen Tausch?«
Er setzte sich hin und schien das klare Wasser zu mustern, das an ihm vorbeiwirbelte; seine Hände tropften. Der Regen hatte aufgehört, und aus dem Wald schoben sich Nebelschwaden heran. »Die Schulden bleiben, Freisprecherin. Sie beherrschen jeden Letherii-Sklaven bei den Edur, doch es sind Schulden, die man niemals zurückzahlen kann.«
Sie starrte entsetzt auf ihn hinunter. »Aber das ist Wahnsinn!«
Er lächelte erneut; »An solchen Dingen werden wir alle gemessen. Warum habt Ihr angenommen, dass bloße Sklaverei daran etwas ändern würde?«
Seren schwieg mehrere Herzschläge lang und musterte den Mann, der an der Wasserlinie hockte. Alles andere als hässlich, doch jetzt, da sie es wusste, konnte sie seine Verschuldung erkennen, die Bürde, die unfehlbar auf ihm lastete – und die Tatsache, dass es für ihn, für jedes Kind, das er zeugen mochte, niemals eine Befreiung von diesem Makel geben würde. Es war brutal. Es war … typisch für die Letherii. »Es gibt da eine Sklavin namens Federhexe«, sagte sie.
Er schien zusammenzuzucken. »Ja, unsere Werferin der Fliesen.«
»Oh. Ich hatte es mir schon gedacht. Wie viele Generationen lebt die Familie dieses Mädchens schon als Sklaven bei den Edur?«
»Vielleicht zwanzig.«
»Doch die Gabe hat sich vererbt? In dieser von Kurald Emurlahn geprägten Welt? Das ist außergewöhnlich.«
»Ist es das?« Er zuckte die Schultern und stand auf. »Heute Abend, wenn Ihr und Eure Begleiter zu Gast bei Hannan Mosag seid, wird Federhexe die Fliesen werfen.«
Unvermittelt durchrann Seren Pedac ein Schauder. Sie holte tief Luft, stieß sie langsam und schwer wieder aus. »Es ist … ein Wagnis, so etwas zu tun.«
»Das ist uns bekannt, Freisprecherin.«
»Ja, ich begreife jetzt, dass dem so ist.«
»Ich muss mich wieder meinen Aufgaben widmen«, sagte er, ohne sie anzublicken.
»Natürlich. Ich hoffe, es hat keine unangenehmen Folgen für dich, dass ich dich aufgehalten habe.«
Er lächelte erneut, sagte jedoch nichts.
Sie schaute ihm hinterher, wie er den Strand entlang davonging.
Buruk der Bleiche
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