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SdG 08 - Kinder des Schattens

SdG 08 - Kinder des Schattens

Titel: SdG 08 - Kinder des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Ericson
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Ein Stoß warf ihn auf den Rücken; noch immer hielt er das Schwert in den Händen.
    Die ihn umgebenden Jheck schossen davon, rannten den Hang hinunter, wobei sie ihre Waffen einfach fallen ließen oder in plötzlicher Panik wegwarfen.
    Trull schlitterte über das vom Blut schlüpfrige Eis und erreichte seinen Bruder. Die Wunde in seinem Bein war vergessen, als er sich an Rhulads Seite kniete.
    »Sie ziehen sich zurück«, sagte Forcht, zwischen keuchenden Atemzügen, während er sich so hinstellte, dass er Trull und Rhulad abschirmen konnte.
    Wie betäubt zog Trull einen Handschuh aus und legte die Hand an Rhulads Hals, suchte seinen Puls.
    Binadas wankte herbei und ließ sich gegenüber von Trull in den Schnee sinken. »Wie geht es ihm, Bruder?«
    Trull blickte auf und starrte seinen Bruder an, bis auch Binadas aufschaute und ihre Blicke sich trafen.
    »Rhulad ist tot«, sagte Trull. Er senkte den Blick wieder und sah nun zum ersten Mal die gewaltigen Wunden im Oberkörper seines Bruders, sah das Blut, das die Pelze tränkte und bereits wieder zu gefrieren begann, roch bitteren Urin und stinkende Fäkalien.
    »Theradas und Midik kommen«, sagte Forcht. »Die Jheck sind geflohen.« Dann ging er fort, zur Rückseite der Anhöhe.
    Aber das ergibt keinen Sinn. Sie hatten uns. Es waren zu viele. Das ergibt alles überhaupt keinen Sinn. Rhulad. Er ist tot. Unser Bruder ist tot.
    Kurze Zeit später kehrte Forcht zurück; er hockte sich neben seinen toten Bruder, streckte sanft die Hand aus – um nach dem Schwert zu greifen. Trull schaute zu, wie sich Forchts Hände über denen von Rhulad schlossen, die immer noch den lederumwickelten Griff umklammerten. Schaute zu, wie Forcht versuchte, die toten Finger zu öffnen.
    Und es nicht konnte.
    Trull musterte die mörderische Waffe. Die Klinge war tatsächlich gesprenkelt, schien aus poliertem Eisen und schwarzen Splittern eines härteren, glasigeren Materials geschmiedet zu sein; die Oberfläche beider Komponenten war von Rissen durchzogen und uneben. Blutspritzer gefroren hier und da, wie eine sich schnell ausbreitende Fäulnis.
    Forcht versuchte, das Schwert freizubekommen.
    Doch Rhulad wollte es nicht loslassen.
    »Hannan Mosag hat uns gewarnt«, sagte Binadas. »Hat er es nicht getan? Lasst nicht zu, dass euer Fleisch das Geschenk berührt.«
    »Aber er ist tot«, flüsterte Trull.
    Rasch senkte sich die Abenddämmerung auf sie herab; die Luft wurde kälter.
    Theradas und Midik traten zu ihnen. Beide waren verwundet, allerdings keiner von beiden ernsthaft. Stumm starrten sie auf Rhulad hinunter.
    Forcht lehnte sich zurück. Anscheinend war er zu einem Entschluss gekommen. Er schwieg noch ein paar Augenblicke lang, zupfte langsam an seinen Handschuhen. Dann richtete er sich auf. »Tragt ihn – mitsamt dem Schwert – runter zu den Schlitten. Wir werden seinen Leichnam und das Schwert zusammen einwickeln. Jetzt ist es an Hannan Mosag, das Geschenk den Händen unseres Bruders zu entreißen.«
    Niemand sagte etwas.
    Forcht musterte seine Begleiter, einen nach dem anderen. Dann sagte er: »Wir werden heute Nacht marschieren. Ich will, dass wir so schnell wie möglich aus dieser Ödnis herauskommen.« Er blickte noch einmal auf Rhulad hinunter. »Unser Bruder ist ein Gebluteter. Er ist als Krieger der Hiroth gestorben. Er wird die Bestattung eines Helden bekommen, eine, an die sich die Hiroth noch lange erinnern werden.«
     
    Im Gefolge der Betäubung kamen … andere Dinge. Fragen. Doch welchen Sinn hatten sie? Alle Antworten, die sich finden ließen, waren nichts weiter als Mutmaßungen und hatten ihren Ursprung in einer Unsicherheit, die für zahllose Gifte empfänglich war – jenem Haufen von Zweifeln, die selbst jetzt Trulls Gedanken heimsuchten. Wohin war Rhulad verschwunden? Was hatte er erreichen wollen, als er sich mitten zwischen die Wilden geworfen hatte? Er hatte das Verbot, das Geschenk anzufassen, sehr wohl gehört – und dennoch hatte er es getan.
    So viel von dem, was geschehen war, erschien … sinnlos.
    Selbst mit seiner allerletzten Tat versucht Rhulad nicht, den Verlust von Vertrauen wieder gutzumachen, unter dem er gelitten hat. Nein, dieses schmutzige Ende ist keine reine Geste. Forcht hatte ihn einen Helden genannt, doch Trull misstraute den Beweggründen seines Bruders. Ein Sohn von Tomad Sengar hatte versagt, hatte seine Pflicht während der Nachtwache nicht erfüllt. Und nun war er tot, hatte sich geopfert – doch dieses Opfer war durch

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