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SdG 08 - Kinder des Schattens

SdG 08 - Kinder des Schattens

Titel: SdG 08 - Kinder des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Ericson
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unbegreifliche Beweggründe befleckt.
    Diese Fragen führten Trull nirgendwo hin, sie verblassten zu einer neuen Woge, einer Woge, die ihn krank machte, die qualvolle Krämpfe durch seinen Bauch schickte. Rhulads letzte Tat war mutig gewesen. Zumindest das. Ein überraschender Mut, gerade als Trull angefangen hatte, von seinem Bruder … anders zu denken. Ich habe an ihm gezweifelt. In jeder Hinsicht habe ich an ihm gezweifelt.
    Ein Gefühl von Schuld raunte seinem Herzen etwas zu – ein Geist und die Stimme eines Geistes –, wuchs ungeheuerlich an, mit krallenbewehrten Händen, die zupackten, immer fester zupackten, bis seine Seele zu schreien begann. Ein durchdringender Schrei, den nur Trull hören konnte, ein Geräusch jedoch, das ihn wahnsinnig zu machen drohte. Und alles durchdrungen von einer noch beherrschende Empfindung, einer Leere tief in seinem Innern. Er hatte einen Bruder verloren. Ein Gesicht, das nie wieder lächeln würde, eine Stimme, die er nie wieder hören würde. In immer neuen Schichten legte sich das Gefühl des Verlusts schier endlos unheilvoll und schwer auf ihn und drückte ihn nieder.
    Er half Forcht, Rhulad und das Schwert in ein Stück gewachstes Leinen – einen Zeltboden – zu wickeln, hörte wie aus großer Ferne Midiks Weinen, lauschte Binadas’ Worten, der Wunden verband und Kraft aus Emurlahn zog, um die Heilung zu beschleunigen. Als die Falten aus steifem Stoff sich über Rhulads Gesicht schlossen, gab Trull ein abgehacktes Keuchen von sich, und er schreckte zurück, als Forcht die Hülle mit Lederriemen festzurrte.
    »Es ist geschehen«, murmelte Forcht. »Gegen den Tod kann man nicht ankämpfen, Bruder. Er kommt immer, gleichgültig, wo man sich versteckt, wie fieberhaft man ihm zu entfliehen versucht. Der Tod ist der Schatten eines jeden Sterblichen, sein wahrer Schatten, und die Zeit ist sein Diener, der den Schatten langsam herumdreht, bis das, was sich einst hinter einem erstreckt hat, sich dann vor einem erstreckt.«
    »Du hast ihn als Helden bezeichnet.«
    »Das habe ich, und es war kein leeres Gerede. Er ist auf die andere Seite des Hangs gegangen – deswegen haben wir ihn nicht gesehen – und hat entdeckt, dass die Jheck sich das Schwert mittels einer List aneignen wollten.«
    Trull blickte auf.
    »Ich habe selbst Antworten gebraucht, Bruder. Er hat auf der anderen Seite des Hügels zwei Angreifer getötet, doch dabei hat er seine Waffe verloren. Ich nehme an, dass noch mehr Jheck gekommen sind, und so muss Rhulad zu dem Schluss gelangt sein, dass er keine Wahl hatte. Die Jheck wollten das Schwert. Sie hätten ihn töten müssen, um es zu bekommen. Trull, es ist vorbei. Er ist gestorben, geblutet und tapfer. Ich habe die Leichen auf der anderen Seite gesehen, bevor ich zu dir und Binadas zurückgekehrt bin.«
    Alle meine Zweifel, das Gift des Misstrauens in all seinen widerlichen Geschmacksrichtungen – hol’ mich Tochter Duster – aber ich habe es in vollen Zügen getrunken.
    »Trull, wir brauchen dich und deine Fähigkeiten mit dem Speer in unserem Rücken«, sagte Forcht. »Sowohl Binadas als auch Rhulad werden auf den Schlitten gezogen werden müssen, und das müssen Theradas und ich tun. Midik übernimmt die Spitze.«
    Trull blinzelte verwirrt. »Binadas kann nicht gehen?«
    »Seine Hüfte ist gebrochen, und er hat nicht mehr genug Kraft, um sich zu heilen.«
    Trull richtete sich auf. »Glaubst du, sie werden uns verfolgen?«
    »Ja«, sagte Forcht.
     
    Ihre Flucht begann. Die Dunkelheit brach über sie herein und ein Wind kam auf, der den feinkörnigen Schnee hoch aufwirbelte, bis der Himmel selbst grauweiß war und tief über ihren Köpfen zu hängen schien. Die Temperatur fiel noch weiter, wie mit bösartiger Absicht, bis selbst die Pelze, die sie trugen, kaum noch etwas nützten.
    Trull schonte sein verwundetes Bein, während er zwanzig Schritt hinter den Schlitten dahintrabte, die im Schneegestöber kaum zu sehen waren. Er hielt den mit gefrorenem Blut überkrusteten Speer in seinen Fäusten – eine Tatsache, derer er sich alle paar Augenblicke vergewisserte, weil seine Finger taub waren, doch auch das ermutigte ihn nicht sonderlich. Der Feind mochte sehr wohl schon überall um ihn herum sein, knapp außerhalb seiner Sichtweite durch die Dunkelheit stapfen, nur Augenblicke davon entfernt, heranzustürmen.
    Er würde keine Zeit zum Reagieren haben, und selbst wenn es ihm gelingen sollte, einen Warnschrei auszustoßen, würde er vom Wind davon gerissen

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